Die Seelenzauberin - 2
»Verfluchtes Geröll«, murmelte er heiser. Dann begann er zu husten, beugte sich vornüber und verschwand hinter dem Pferdeleib. Als er sich wieder aufrichtete, sah der Wachposten einen Blutfaden aus seinem Mund rinnen.
»Am besten gehst du gleich zum Chirurgus«, meinte der Posten und winkte ihn durch das Tor.
Der Verletzte nickte und humpelte mit seinem Pferd in den Burghof. Er sah sich kurz um, fand die Stallungen und wandte sich in diese Richtung. Ein Junge in einem schäbigen Kittel kam herausgelaufen, um ihn zu begrüßen, als er seine Provianttasche vom Sattel löste und sich über die Schulter warf. Mit den Waffen verfuhr er ebenso. Der Junge wartete geduldig, bis er fertig war, dann nahm er wortlos die Zügel, schnalzte beruhigend und führte das Pferd behutsam weg.
Man wird den Stein unter dem Hufeisen bald finden , dachte Kamala. Sie konnte nur hoffen, dass man von einem Unfall ausging.
Sie rückte die schwere Tasche so zurecht, dass sie ihr Gesicht verdeckte, schaute kurz in die Runde, um sich zu orientieren, und strebte dann den Schatten hinter dem Kasernengebäude zu.
Rhys’ Zelle war dunkel und feucht und maß kaum drei Schritte in jeder Richtung. Wobei an Schritte wahrscheinlich noch nicht so bald zu denken war. Um seine Knöchel lagen schwere Eisenfesseln, die mit Ketten an der Rückwand seines Kerkers befestigt waren und ihm gerade so viel Bewegungsfreiheit ließen, dass er sich auf dem verschimmelten Strohsack ausstrecken oder bei Bedarf in einen Metalleimer pissen konnte. Ungeachtet dessen zeigte der Wärter, der ihm Essen und Wasser gerade so weit durch den Schlitz in der Tür schob, dass er es erreichen konnte, deutliche Zeichen von Unruhe. Er hielt Rhys offenbar für gefährlich.
Dennoch hätte es schlimmer sein können. Sie hatten ihm die Arme hinter den Rücken gefesselt, als der Chirurgus gekommen war, dadurch war die Untersuchung seiner Schulter besonders schmerzhaft ausgefallen. Zwei stämmige Gardisten hatten ihn für die Prozedur am Boden festgehalten, als hätten sie Angst, er könnte sie selbst in seinem geschwächten Zustand noch überwältigen. Immerhin hatte der Heiler das Gift aus seiner Schulterwunde herausgezogen und einen Breiumschlag aufgebracht, und mit der tiefen Stichwunde in seinem Schenkel war er ebenso verfahren. Die Leute hier mochten ihn hassen und seine Kräfte fürchten, aber sie wollten ihn, aus welchen Gründen auch immer, am Leben lassen.
Zumindest vorerst.
Erschöpft von den Ereignissen des Tages legte er sich auf den feuchten Strohsack. Er sehnte sich nach Schlaf. Für das, was ihm bevorstand, würde er all seine Kräfte brauchen, also schloss er die Augen und entspannte sich, so weit es seine pochenden Wunden zuließen. Und vielleicht schlummerte er tatsächlich dann und wann ein. Vielleicht glitt er in der dämmrigen Zelle – durch das vergitterte Fensterchen in der Tür drangen nur die schwachen Strahlen einer Laterne – tatsächlich immer wieder in den Schlaf, ohne es zu merken. Albträume konnten kaum schlimmer sein als das, was ihn in der Wirklichkeit erwartete.
Was im Namen der Götter war hier geschehen?
Seit tausend Jahren dienten die Heiligen Hüter nun schon den Protektoraten. Tausend Jahre Exerzieren für den Kampf gegen einen unsichtbaren Feind, tausend Jahre der Suche nach Bruchstücken alter Überlieferungen, die ihnen helfen mochten, sich auf diese Schlacht vorzubereiten, tausend Jahre Bereitschaft, sich dem schrecklichsten Fluch zu stellen, den die Menschheit kannte, um den Willen der Götter zu erfüllen. Zehn Jahrhunderte lang hatten sich Männer und Frauen, die sich nicht der großen Politik verpflichtet fühlten, keiner fremden Sache dienten, sich von nichts ablenken ließen, selbstlos geopfert. Ihre Neutralität war unverletzlich, ihre Ehrenhaftigkeit legendär, und infolgedessen gab es in den Protektoraten keinen Ort, wo sie nicht willkommen gewesen wären.
Bis heute.
Es gibt keine Götter , hatte der Oberste Hüter ihm erklärt. Du dienst einer Lüge.
Was konnte einen solchen Mann bewegen, von seinem Glauben abzufallen und sich gegen seine eigenen Brüder zu wenden?
Zeigt mir den Grund , flehte Rhys zu seinen Göttern. Lehrt mich, was ich dagegen tun kann, auf dass die Hüter stark bleiben und wir euch so dienen können, wie ihr es einst wolltet.
Mit einem Seufzer schloss er die Augen und glitt von einer schmerzerfüllten Dunkelheit in eine andere.
Und wenn ihr schon dabei seid, bitte holt mich hier raus.
Der neue
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