Die Seelenzauberin - 2
wollte sie wissen. »Von ihnen? Und von Euresgleichen?«
»Für uns ist es mehr als …«, begann er erbost. Doch dann holte er tief Atem und beherrschte sich; seine Stimme wurde fester, aber das Feuer in seinen Augen glomm weiter. »Wir haben ihnen die Partner gegeben, von denen wir glaubten, dass sie zu ihnen passten: die einzige Art, die sie jemals angenommen hatten. Leicht zu beeindruckende junge Mädchen, mit denen sie gemeinsam heranwachsen konnten. Es hätte möglich sein müssen.«
»Ihr habt also eine Maus an einen Tiger verfüttert und Euch gewundert, als sie in Stücke gerissen wurde. Das spricht nicht für Euer Urteilsvermögen.« Ob die Kreatur wohl zuhörte? , ging es ihr plötzlich durch den Sinn. Ob sie die unterschwellige Angst in ihrer Stimme spürte? Die Schreie aus dem Abgrund waren verstummt; die Atemzüge klangen nicht mehr ganz so gequält. Siderea kam es vor, als warte das Seelenfresser-Weibchen auf etwas. Wie viel von dem Gespräch mochte es wohl mitbekommen?
Wenn ich noch für ein Jahr Seelenfeuer in mir hätte , dachte sie, ich würde weglaufen, so schnell mich meine Füße tragen könnten. Ohne mich noch einmal umzusehen.
Aber wenn ich noch Seelenfeuer in mir hätte, wäre ich nicht hier.
»Und diesmal haben wir unserem Tiger einen Tiger gebracht«, sagte Amalik. »Eine Hexe, die ein Leben lang Erfahrung mit der Macht gesammelt hat; eine Königin, die ein Leben lang gelernt hat, über andere zu gebieten. Ihr passt in jeder Hinsicht gut zusammen, denn das Wesen, das Ihr vor Euch seht, wird einst eine Königin unter seinesgleichen sein. Somit bleibt nur die Frage, ob Ihr den Mut aufbringt, diese Gelegenheit zu ergreifen und für Euch zu nützen, oder ob Ihr es vorzieht, als greise Hexe eines langsamen Todes zu sterben, während ringsum Euer Reich zerfällt.«
Sie zischte leise. Das Wesen in der Spalte hob den Kopf.
»Was habt Ihr zu verlieren?«, drängte Amalik.
»Erzählt mir nicht, Ihr würdet mich nach Hause gehen und in Frieden sterben lassen. Nachdem ich dieses … Ding … gesehen habe.«
Er schwieg lange.
Endlich sagte er: »Nein. Ich bedaure. Ein Zurück gibt es nicht.«
»Belügt mich niemals wieder«, sagte sie bissig und wandte sich von ihm ab.
Das Seelenfresser-Weibchen war in den Teil der Schlucht gekommen, der Siderea am nächsten war. Nun richtete es seine großen Facettenaugen mit beklemmender Eindringlichkeit auf Siderea; ein Schwarz so tief wie das Schwarz der Magister. Bei dem Gedanken spürte sie einen gallenbitteren Geschmack im Mund. Lass dich nicht ablenken , befahl sie sich. Du hast ohnehin nur wenig Hoffnung, diesen Wahnsinn zu überleben, und alles hängt davon ab, dass du klar denken kannst. »Und was erwartet Ihr nun von mir?«
Sie hörte deutlich, wie er bei der Frage den Atem einzog. »Geht zu ihr. Und betet, wenn Ihr glaubt, dass Eure Götter dafür empfänglich sind.«
Ich kenne keinen Gott, der einen solchen Aberwitz billigen würde.
Langsam ging sie auf eine Stelle am Rand der Schlucht zu, die sich nur wenige Meter über der Steinlawine befand. Die glänzenden schwarzen Augen folgten ihr. Sie wagte nicht, ihren Blick zu erwidern, aus Angst, er würde ihr auch noch den letzten Rest an Mut rauben. Ein kurzes Zögern – die ganze Welt schien den Atem anzuhalten. Und es war still. Unheimlich still. Nicht einmal die Insekten summten.
Ich habe nichts zu verlieren , rief sie sich in Erinnerung.
An der Kante ging sie in die Knie, setzte sich und schickte sich an, sich mit zitternden Händen hinabzulassen. Die riesige Bestie zischte sie an. Siderea stockte der Atem. Angeblich bannten die Seelenfresser ihre Beute, bevor sie ihr die Seele raubten. Wie nahe musste man ihnen sein, damit es dazu kommen konnte?
Nichts zu verlieren , wiederholte sie lautlos. Ein Mantra, das Mut nur vortäuschte … aber es war alles, was sie hatte.
Stück für Stück glitt sie in die Schlucht hinab. So lange wie möglich hielt sie sich am Klippenrand fest – wenn der Moment nur nie zu Ende ginge! –, doch schließlich überantwortete sie sich dem Schicksal und ließ sich fallen. Die scharfkantigen Steine lagen lose übereinander, sie rutschten ihr unter den Füßen weg, als sie auf dem Haufen aufkam, und sie stürzte. Die dünne Seide ihres Sommergewandes bot kaum Schutz. Die scharfen Kanten drangen durch den Stoff und rissen ihr die Haut auf; der Schmerz schoss ihr bis in die linke Schulter; als sie sich mühsam aufrichtete, rann ihr das warme Blut über den
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