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Die Seelenzauberin - 2

Die Seelenzauberin - 2

Titel: Die Seelenzauberin - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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Arm.
    Das Seelenfresser-Weibchen gab keinen Laut von sich, aber sie spürte, wie es sie beobachtete. Und wartete.
    Sie ließ sich Zeit, um zu verschnaufen und den weiten Seidenärmel fest um den blutenden Arm zu wickeln. Das Weibchen war immer noch nicht näher gekommen. War das ein gutes Zeichen, oder wartete es lediglich ab, bis Siderea den Grund der Schlucht erreichte und sich von der Lawine entfernte, wo es den Angriffen der anderen Seelenfresser ausgesetzt wäre? Vor ihnen hatte es sichtlich Angst.
    Das haben wir immerhin gemeinsam , dachte die Hexenkönigin.
    Zitternd tastete sie sich den steinigen Hang hinab. Bei jeder Erschütterung ging ein schmerzhafter Stich durch ihren verletzten Arm. Aber das war gut so: Der Schmerz war begrenzt und real, und er lenkte sie von ihrer Angst ab. Die Luft wurde immer schlechter, je weiter sie hinunterstieg, der grässliche Gestank, ein Gemisch aus verfaultem Fleisch und altem Tierkot, drohte ihr die Sinne zu rauben. Sie fürchtete schon, sich übergeben zu müssen – als ob man sich danach wohler fühlen würde! –, aber sie bekam ihren Körper so weit in den Griff, dass sie nur ein paar Mal trocken würgte.
    Wenn das Wesen sie in dieser Phase der Schwäche angegriffen hätte, hätte sie ihm nichts entgegensetzen können. Doch als Siderea schließlich aufschaute, hatte sich der Seelenfresser immer noch nicht bewegt. Zwar zischte er leise bei jedem Ausatmen und spannte die Muskeln an wie ein Wolf vor dem Sprung, aber er begnügte sich damit, sie mit seinen unheimlichen, unnatürlich schwarzen Augen zu beobachten.
    Und abzuwarten.
    Hier unten sah sie erst, wie groß das Wesen tatsächlich war – und wie sehr es in der Gefangenschaft gelitten hatte. Es war über und über mit Schmutz bespritzt, und an den zarten Schwingen klebten Schlamm, Abfälle und getrocknetes Blut; die jüngste Verletzung war nicht die erste gewesen. An mehreren Stellen an den Flanken und oben am Hals lösten sich trockene Fetzen. Ob diese Wesen sich häuteten wie Reptilien? Befand sich das Weibchen womöglich mitten in einer solchen Phase? Oder war die blau-schwarze Haut von Dauer und hatte einen bleibenden Schaden davongetragen? Brennende Wut erfüllte ihr Herz. Sie hob den Kopf und suchte nach den menschlichen und nichtmenschlichen Geiern über sich. Nur zwei Seelenfresser zeichneten sich vor dem hellen Himmel ab, und sie sah, dass diese beiden glatt und sauber waren und ihre bläulich schwarzen Schuppen im Sonnenlicht glänzten. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Zorn über die unwürdige Behandlung dieser elenden Kreatur wurde übermächtig. Sie hasste die Seelenfresser, die einem ihrer eigenen Artgenossen so übel mitgespielt hatten. Sie hasste die Menschen, die mit ihnen im Bunde waren. Sie hasste die Magister, die ihnen in so vieler Hinsicht glichen. Geier waren sie alle, die Menschen wie die anderen, sie suchten nur ihre Männergelüste zu befriedigen, wem sie dabei Leid zufügten, war ihnen vollkommen gleichgültig. Der Hass schoss in ihr empor wie glühendes Magma, sie konnte ihn kaum beherrschen. Lass los , flüsterte eine innere Stimme. Wenn du den Groll unterdrückst, wird der Schmerz zu groß. Lass ihn heraus.
    Sie schrie. Es war ein schrecklicher Laut, ein Urlaut, wie ihn keine menschliche Kehle hätte hervorbringen dürfen. Die Wände erbebten, die Echos wanderten durch die ganze Schlucht … und dann stieß das Seelenfresser-Weibchen seinerseits einen Schrei aus, und auch er ließ die Wände erzittern. Für einen grauenvollen Moment waren die beiden eins und schleuderten, verbunden im Hass, denselben Feinden ihre Herausforderung entgegen … dann fiel die Wut von Siderea ab, sie taumelte und stürzte zu Boden. Sie fühlte sich leer, aber es war ein gutes Gefühl; der Schrei hatte reinigend gewirkt und ihre Seele geheilt.
    Nun näherte sich das Seelenfresser-Weibchen. Es kam nur langsam heran, sein Misstrauen war nicht zu übersehen; vielleicht fürchtete es, wenn es Siderea zu nahe käme, würde die seine größeren Artgenossen rufen, um es zu bestrafen. Bald glaubte die Hexenkönigin, im Gestank der Schlucht seinen süßlichen Moschusduft ausmachen zu können. Und für einen Moment spürte sie auch Leben in dieser Kreatur, das Seelenfeuer in ihrem Innersten. Heiß war es, glühend heiß. Sie sehnte sich danach, sich an diesem Feuer zu wärmen, damit seine Hitze in sie einströme und ihr die Lebensenergie zurückgebe. Bei den Menschen hatten nur die Kinder

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