Die Seemannsbraut
Hyperions Wimpel wehte noch immer nach Backbord aus. Der Wind war stetig und nicht zu stark. Sein Vater hatte immer gesagt: ein guter Wind für ein Gefecht. Aber im Mittelmeer konnte sich das leicht ändern, wenn es der Zufall wollte.
Keen stand neben ihm, der Wind zauste sein Haar, wo es unter dem Hut hervorlugte, obwohl es nach moderner Art kurzgeschnitten war. Wie bei Adam. Bolitho packte die Reling mit beiden Händen, fühlte die Wärme des alten Holzes. Viele Hände hatten es vor ihm geglättet. An der Vorkante des Achterdecks stand Major Adams mit seinem Leutnant Veales und zwängte sich stirnrunzelnd in ein frisches Paar weißer Handschuhe.
Bolitho sagte: »Es wird Zeit.«
Keen hatte verstanden. Die Leutnants schauten einander an und fragten sich wahrscheinlich, wer von ihnen noch da sein würde, wenn sich der Pulverdampf verzog.
Keen bemerkte: »Der Wind steht durch, Sir Richard. Sie werden bis Mittag auf unserer Höhe sein.«
Penhaligon warf gleichmütig ein: »Schöner Tag für ein Treffen.«
Bolitho zog Keen beiseite. »Auf ein Wort, Val. Wir machen gleich gefechtsklar, danach werden unsere Aufgaben uns trennen. Aber Sie bedeuten mir nun einmal sehr viel, und das sollten Sie wissen.«
Keen erwiderte leise: »Ich weiß, was Sie sagen wollen, Sir Richard, aber es wird Ihnen nichts geschehen.«
Bolitho packte ihn fester. »Val, wie können wir das wissen? Es wird ein harter Kampf werden, vielleicht der schlimmste, den wir je durchzustehen hatten.« Er deutete auf die Schiffe in ihrem Kielwasser. »All diese Männer folgen uns wie hilflose Tiere, vertrauen darauf, daß ihr Admiral sie durchbringt, ungeachtet der Hölle, die auf sie wartet.«
»Sie werden auf Sie schauen.«
Bolitho lächelte flüchtig. »Das macht es nicht leichter. Val, was denken Sie, wenn die Dons uns umzingeln? Ohne mich wären Sie jetzt zu Hause bei Ihrer Zenoria.«
Keen sah Allday mit dem Degen erscheinen und entgegnete einfach: »Selbst wenn ich den heutigen Tag nicht überleben sollte, so habe ich doch wahres Glück kennengelernt. Nichts kann mir das nehmen.«
Allday hängte Bolithos Degen ein und lockerte ihn probeweise in der Scheide. Er brummte: »Dazu sag’ ich Amen, Käpt’n!«
Sie sahen einander an. Keen grüßte Bolitho formell mit der Hand am Hut. »So sei es denn.«
Das laute Rasseln der Trommeln, die aus jeder Luke trampelnden Füße machten ihnen weiteres Reden unmöglich. Die Stückmannschaften stürzten sich auf ihre Kanonen, die Toppgasten schwärmten nach oben aus und riggten Schlingen und Netze auf. Selbst noch im Blutbad einer Breitseite würden sie die Schäden spleißen. Jenour tauchte auf, den Hut fest in die Stirn gedrückt, den schönen Degen an der Hüfte. Er sah ernst und irgendwie gealtert aus.
Als der Lärm der Vorbereitungen verhallte und sich wieder Stille über das Schiff senkte, schritt Parris nach achtern zum Kommandanten. Er trug ein Paar feine Stiefel.
»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!« meldete er. »Feuer im Kombüsenherd gelöscht, Pumpen bemannt.«
Keen zog seine Uhr nicht hervor, sondern sagte nur: »Neun Minuten, Mr. Parris, die beste Zeit bisher.«
Bolitho hörte es mit. Ob die Zeit stimmte oder nicht, spielte keine Rolle. Diejenigen, welche die Bemerkung aufgefangen hatten, würden Keens Lob in allen Decks verbreiten. Das war wenig genug, aber es half mit.
Keen trat zum Vizeadmiral. »Alles klar, Sir Richard.«
Bolitho sah sein Zögern. »Ist noch was, Val?«
»Ich überlege gerade, Sir Richard: Können wir nicht die Musikanten aufspielen lassen? Wie damals auf der Tempest.« Wieder einmal verband sie eine gemeinsame Erinnerung.
Bolitho war einverstanden. »Gut, machen wir das.«
Und so, während sich die alte
Hyperion
auf Backbordbug leicht schräg legte und der scharfe Horizont sich in Segel und Masten auflöste, bliesen die Pfeifer der Royal Marines einen anfeuernden Marsch. Begleitet von den Trommeln auf der Poop und dem Stampfen der Seeleute auf den mit Sand bestreuten Decks, marschierten sie hin und her, als ob sie vor ihrer Kaserne paradierten.
Bolitho fing Keens Blick auf und nickte; es war sogar die gleiche Melodie wie damals:
Portsmouth Lass,
Mädel aus Portsmouth.
Bolitho griff wieder zum Fernrohr und studierte die spanische Aufmarschlinie von einem Ende zum andern. Die beiden letzten Schiffe standen ziemlich weit vom Verband entfernt. Bolitho vermutete, daß sich das allerletzte Schiff absichtlich abseits hielt und das andere deckte, damit dieses
Weitere Kostenlose Bücher