Die Seemannsbraut
Uhr und ließ den Deckel aufspringen. Es war genau Mittag. Ihre Augen trafen sich, und Bolitho fühlte fast körperlich des anderen Zurückhaltung, ja Vorsicht. Er zögerte.
»Alle Kommandanten sollen sich im Anschluß an die Nachmittagswache zur Besprechung bei mir melden. Führen Sie sie in meine Kajüte.«
Haven schluckte. »Der Rest unseres Geschwaders ist aber noch auf See, Sir.«
Bolitho sah sich um. Die Ehrenwache war schon weggetreten, nur der Unteroffizier vom Dienst war noch in der Nähe. Er sagte: »Ich habe die Absicht, innerhalb der Woche und sobald genügend Wind unsere Segel füllt, ankerauf zu gehen. Wir segeln nach Südwesten zum Festland und beziehen vor La Guaira Station.«
Havens rötliche, sonnengebräunte Wangen, die zu seiner Haarfarbe paßten, schienen zu erbleichen. »Das sind sechshundert Seemeilen, Sir! Mit diesem Schiff, ohne Unterstützung? Ich weiß nicht, ob …«
Bolitho fixierte ihn scharf. »Haben Sie keinen Mumm oder möchten Sie eine vorzeitige Verabschiedung?« Doch er zügelte sich, weil Haven nicht zurückschlagen konnte, und setzte ruhiger hinzu: »Ich brauche Sie, und auch dieses Schiff braucht Sie. Das ist alles.«
Beim Fortgehen bemerkte er Imrie. »Kommen Sie mit, ich möchte Sie Ihrer Ideen berauben.« Als ein Sonnenstrahl durch die Besanwanten auf ihn fiel, zuckte er zurück. Für Sekunden war sein linkes Auge völlig blind, und er mußte sich zusammennehmen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.
Von Todessehnsucht hatte Somervell gesprochen. Bolitho ertastete sich den Weg ins Achterschiff, wobei ihn Bitterkeit überfiel. Zu viele hatten schon seinetwegen sterben müssen, und auch seine Freunde erlitten durch den Umgang mit ihm nur Schaden.
Imrie duckte sich unnötigerweise und begleitete ihn in das Dunkel des Achterdecks. »Ich habe nachgedacht, Sir Richard, und ein paar Einfalle …«
Seine einfachen Worte waren eine Art Rettungsleine für den Admiral.
Bolitho entgegnete: »Dann wollen wir unseren Durst löschen, während ich zuhöre.«
Als sie verschwunden waren, rief Haven nach dem Signalfähnrich und erklärte dem Jungen Art und Zeit der Übermittlung, wodurch die anderen Kommandanten an Bord gerufen werden sollten. Danach wandte er sich dem erst jetzt herbeieilenden Ersten Leutnant zu. Bevor dieser den Mund aufmachen konnte, fuhr ihn Haven an: »Muß ich auch noch Ihre Aufgaben übernehmen, verdammt noch mal?« Noch im Weggehen schimpfte er: »Bei Gott, wenn Sie sich nicht bessern, lasse ich Sie an Land setzen, für immer!«
Parris starrte ihm nach, nur seine geballten Fäuste verrieten seinen Groll. »Gott verdamme dich!«
Er sah, daß der Fähnrich große Augen machte. Hatte er sich etwa laut ausgelassen? Er grinste müde. »Der Seemann hat ein feines Leben, Mr. Mirrielees, vorausgesetzt, er hält sein Maul!«
Um acht Glasen nachmittags, also um vier Uhr, wurde das Signal an der Rah vorgeheißt. Es fing an.
Sturmwarnung
Bolitho stand im leeren Bootsschuppen und gewöhnte seine Augen an die Formen und Schatten. Es war ein großes, baufälliges Gebäude, von einigen wenigen Lampen schwach erleuchtet. Um die Feuersgefahr zu verringern, hingen die Laternen an langen Ketten und pendelten jetzt leise, was den Eindruck erweckte, als bewege sich der Schuppen wie ein Schiff. An diesem Abend war die Dunkelheit lebendig und voller Geräusche: dem Rascheln und Klatschen der Palmwedel, dem unruhigen Plätschern des Wassers unter der groben Aufschleppe, wo man den Leichter für seine Reise in den Süden hergerichtet hatte. Der Bootsschuppen war ein wimmelnder Bienenkorb gewesen, in dem Schiffbauer und Seeleute gegen die Zeit arbeiteten, um zusätzliche Bilgepumpen einzubauen und Scharniere entlang der Verschanzung einzusetzen, damit man diese bei Bedarf niederlegen konnte.
Bolitho fühlte losen Sand vom Strand in seinen Schuhen, während er zum hundersten Mal seine Pläne durchdachte. Jenour hatte ihm Gesellschaft geleistet, aber sein Verlangen nach Alleinsein respektiert.
Bolitho lauschte dem Plätschern des Wassers, dem sanften Stöhnen des Windes über dem vom Wetter zerrissenen Dach. Sie hatten um Wind gebetet, aber nun konnte er zunehmen und sich gegen sie kehren. Wenn der Leichter vollschlagen sollte, bevor er sein Ziel erreichte, mußte er sich zu einer Planänderung entschließen. Entweder würde er dann
Thor
ohne Unterstützung an die Küste schicken oder den Angriff abbrechen müssen. Er dachte an den Zweifel in Somervells Augen. Nein, er würde nicht
Weitere Kostenlose Bücher