Die Seevölker
zweiten Teiles dieses Bandes wurden dem
Leser über diese Periode, die unter der Bezeichnung 21. Dynastie be-
kannt ist, zwei Versionen vorgelegt, die beide den Anspruch erheben,
die wahre Geschichte darzustellen. Nach einer Version gehört diese
Dynastie in das elfte und zehnte Jahrhundert, aber diese Version war
nicht in der Lage, einen einzigen synchronen Kontakt zwischen Ägyp-
ten unter dieser Dynastie und den fremden Ländern während dieser
beiden Jahrhunderte anzuführen: Dies trotz der Tatsache, daß, wie in
den Schriften bezeugt wird, während dieses gesamten Zeitraums das
benachbarte Palästina unter Saul und David kriegerisch sehr aktiv war
und unter Salomon eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit erleb-
te. In Salomons Tagen war Ägypten überdies das Zentrum einer gegen
Israel gerichteten Verschwörung. Die Vertreter dieser Version blieben
stumm, als sie Zeugen oder Beweismaterial für ihre Version beibringen
sollten, hielten aber trotzdem an ihrem Anspruch fest.
Für die zweite Version wurde Beweismaterial beigebracht – und
wie zwingend dieses Beweismaterial ist, kann jeder abschätzen, der
diese Seiten gelesen hat; daraus ergab sich, daß die gesamte Dynastie
in die Zeit der Perser und in den Beginn der griechischen Periode in
Ägypten gehört. Die Zeugen dafür wurden einzeln vorgeführt, inten-
siv befragt und einem Kreuzverhör unterworfen.
Aus Ourmais Klagebrief erfährt man, daß Ägypten ringsum von aus-
ländischen Truppen umgeben war und eine Besatzungsmacht die Bevöl-
kerung unterdrückte, die Kinder in die Sklaverei verkaufte, die Heiligtü-
mer entweihte, sowie die Grabstätten öffnete und beraubte; der Erzähler,
der zuvor der Aristokratie des Landes angehört hatte, wanderte zu Fuß
umher und bettelte die Besatzungstruppen um Brot an – alles und jedes,
wie im Bericht Herodots über die Eroberung Ägyptens durch die Perser
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unter Kambyses. Für das konventionelle Schema aber paßten die bei der
Veröffentlichung von Ourmais Klagebrief im Jahre 1960 bekanntgewor-
denen Ereignisse nicht in den Plan. Die 21. Dynastie hatte angeblich die
Regierungsgeschäfte ohne eine ausländische Intervention übernommen.
Allerdings wurde vermutet, daß während der 21. Dynastie einige
politische Unruhen stattgefunden haben, und in der Tat hatte sich dar-
aus schließen lassen, daß eine ausländische Macht dabei im Spiel war.
Der Tempeldiener Ahau-tinofer sagte bei einer Gerichtsverhandlung
wegen Tempelraubs aus, daß ein Hoherpriester Amenhotep von sei-
nem Posten entfernt (»unterdrückt«) und daß der Angeklagte selbst
von einem Fremdling festgenommen und abgeführt worden war. Die-
se Zeugenaussage und andere Prozeßberichte ließen erkennen, daß das
Land von ausländischen Truppen, die von Hauptleuten kommandiert
wurden, besetzt war. Eine Anzahl von Personen hatte nicht-ägyptische
und oft persische Namen.
Die »mysteriöse« Zählweise nach den Jahren der »Wiederholung
der Geburten« auf den Dokumenten des Hohenpriesters Herihor wur-
de von uns als Parallele zu dem von den persischen Königen einge-
führten Brauch der »Erneuerung des Königsreiches« an den Tagen des
mazdaischen Neujahrsfestes entdeckt: Abgesandte aller beherrschten
Völker pflegten nach Persepolis zu kommen, um dort das Fest der »Er-
neuerung« bzw. der »Neugeburt« zu feiern.
Wenamun, der unter Herihor nach Byblos segelte, um dort Zedern-
holz einzukaufen, verweist auf die Reederei des Hauses Birkath-El, die
mit dem Handel zwischen Tanis und den syrischen Häfen beschäftigt
war; die gleiche Reederei – jetzt unter dem Firmennamen »Berakhels
Sohn« – war dem Autor des Testaments von Naphtali bekannt, einem
literarischen Werk, das in persischer oder in hellenistischer Zeit ent-
standen ist. Der gleiche Wenamun, »Herr fremder Länder«, errichtete
dann einen Schrein in der Oase Siwa; der Schrein wird dem fünften
oder vierten Jahrhundert zugeschrieben. In der Tat wurde er gebaut,
als Necht-hor-heb Gouverneur von Ägypten unter Dareios II. war.
Der Priesterkönig Psusennes, der auf Herihor folgte, ließ seinen
Namen in einer Kartusche anbringen und in einer danebenstehenden
weiteren Kartusche den persischen Titel Schahedet. In einer Inschrift in
seinem Grab weist Psusennes auf die Mittelmeerküste von Ägypten
zwischen Damietta und Rosetta hin und bezeichnet sie als die helleni-
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sche Küste, obschon die Griechen sich nicht vor –663 in
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