Die Segel von Tau-Ceti
Strahlung ihres Antriebsfeuers hatte viele der empfindlichsten Instrumente geblendet.
»Die Überwachung fortsetzen. Ich möchte von jeder Änderung - ob plus oder minus - informiert werden.«
»Jawohl, Kapitän.«
Außer ein paar kurzen Pausen für die Körperhygiene hatten weder Garth noch Tory ihre Stationen in den letzten drei Tagen verlassen. Sie aßen und schliefen abwechselnd, sodass einer von ihnen immer wach war und die Steuerungen bediente. Und die zärtlichen Berührungen und Kosewörter, mit denen sie sich in der dienstfreien Zeit bedachten, gab es auch nicht mehr; auf der Brücke trennten der Kapitän und seine Chefingenieurin strikt Beruf und Privatleben. Kit Claridge und Eli Guttieriz vermochten ihre persönliche Beziehung im Moment auch nicht aufrechtzuerhalten. Sie waren vollauf damit beschäftigt, den unersättlichen Hunger der irdischen Wissenschaftler nach Beobachtungen während des Anflugs zu stillen. Zum ersten Mal auf der Reise gereichte die Kommunikationsverzögerung ihnen zum Vorteil. Wenn die Wissenschaftler auf der Erde in der Lage gewesen wären, den Anflug in Echtzeit zu verfolgen, hätten ihre Anfragen die Besatzung bald schon überfordert. Also mussten sie versuchen, alle Beobachtungen zu bearbeiten, die schon vor einem Monat auf der Erde programmiert worden waren.
Tory widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Lichtsegel. Sie waren noch fünfzigtausend Kilometer von ihm entfernt und näherten sich mit einer Anfluggeschwindigkeit, die kaum mehr als ein interplanetarischer Spaziergang war. In sieben Minuten würden sie die Triebwerke abschalten, und sie hielten bereits Ausschau nach dem Sternenschiff, das sich irgendwo vor dem Segel befinden musste. Auf diese Entfernung glich das Spähen nach dem bemannten Raumschiff freilich der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen.
Das Muster aus Licht und Dunkelheit, das sie seit Wochen begleitet hatte, erschien nun in starkem Kontrast auf dem Bildschirm. Das Segel blähte sich, als ob es mit einem unsichtbaren Wind gefüllt wurde - was auch der Fall war. Manche Baugruppen reflektierten die Dunkelheit des Alls, während andere das Glühen der Ionen bündelten. Diese zwei Effekte projizierten in ihrer Kombination wandernde Speichen aus Licht auf das langsam rotierende Segel. Wenn Gott jemals ein Kaleidoskop für Seinen eigenen Gebrauch bauen sollte, dann würde es sicher dem Lichtsegel ähneln.
Wenn man genau hinschaute, vermochte man die Stellen auszumachen, wo die Takelage am Hauptkörper des Segels verankert waren. Die Befestigungspunkte waren in zwölf konzentrischen Ringen angeordnet, und die Leinen zählten über tausend. Die Leinen selbst waren unsichtbar, aber ihre Anordnung offenbarte schon viel über die Konstruktion des Segels. Aus welchem Material auch immer das Segel bestand, seine Reißfestigkeit war kaum höher als die von Küchenpapier. Dieses Ergebnis überraschte Tory — bis sie sich in Erinnerung rief, dass Küchenpapier viel — tausendmal dicker war als selbst ein menschliches Lichtsegel. Egal, auf welche Stärke sie das Segel veranschlagte, das Verhältnis von Reißfestigkeit und Gewicht des Materials überstieg das Potenzial der menschlichen Wissenschaft bei weitem.
Vom Ionisationslaser gab es keinerlei Anzeichen mehr. Es war nun schon vier Tage her, seit die Austria den ultravioletten Blitz zum letzten Mal gesehen hatte. Wie Garth bereits vermutet hatte, scannte der Laser nur einen schmalen Kegel direkt in der Flugbahn des Lichtsegels; die Außerirdischen vergeudeten ihre wertvolle Energie also nicht für die Abschnitte des interstellaren Mediums außerhalb der Reichweite ihrer elektrostatischen Teilchenschaufel. Sobald die Austria aus dem Scankegel ausscherte, war der Laser scheinbar inaktiv.
»Dreißig Sekunden bis Triebwerksabschaltung«, meldete Tory.
»Informiere auch die anderen darüber«, befahl Garth.
Tory machte die Ansage und wandte sich dann wieder dem Bildschirm zu. Der Plan sah vor, dass sie das Triebwerk abschalteten und stoppten, damit das Segel sie einzuholen vermochte. Die Experten auf der Erde glaubten nämlich, dass ein antriebsloses Raumschiff weniger bedrohlich erschien als eines, das frontal auf die Außerirdischen zuraste und sie mit einer Wolke geladener Teilchen einnebelte. Tory hoffte, dass sie recht hatten.
Das Chronometer in der Ecke des Bildschirms zählte die Sekunden. Plötzlich verstummte das Brummen der Triebwerke. Und das Ziehen der Beschleunigung war ebenfalls weg. Tory
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