Die Segel von Tau-Ceti
Kreise aus Fenstern himmelwärts strebten, bis sie im grellen Schein der Sonnenröhre verschwanden.
Es wuchsen sogar Pflanzen aus dem Fels, und nach dem Platzregen der letzten Nacht strömten noch immer Sturzbäche zur Basis. Tory verbrachte ein paar Minuten mit der Suche nach der Ebene, wo die Unterkünfte der Menschen sich befanden.
»Haben Sie sich wieder erholt?«, fragte Maratel schließlich.
Tory nickte. »Lassen Sie uns weitergehen.«
»Ich habe mir gesagt, dass Sie unseren Kindern vielleicht einmal beim Spielen zuschauen möchten.«
»Unbedingt. Wie viel Nachwuchs gibt es denn hier im Schiff?«
»Immer ein paar tausend. Die Jugend der Phelaner dauert annähernd so lange wie bei den Menschen. Natürlich sind wir sehr darauf bedacht, dass Geburtenrate und Sterblichkeitsrate sich die Waage halten.«
»Bringen Sie mich in eine Schule?«
»So etwas in der Art. Unsere Lehrpläne sehen vor, dass unser Nachwuchs einen Teil seines Lebens im Habitat verbringt, damit er eine Vorstellung vom Leben auf einem Planeten bekommt.«
»So eine Art Pfadfinderlager?«
»Quasi.«
Die beiden gingen noch hundert Meter auf dem Steinpfad entlang und überquerten dann eine Brücke im japanischen Stil über einen Bach. Der Pfad führte an einer Hecke aus gelbbraunen Pflanzen vorbei. Auf der anderen Seite befand sich eins der sechseckigen Dörfer mit diesen Bienenkorb-Gebäuden, die Tory von oben erspäht hatte.
Wie bei den Menschenkindern, so waren auch phelanische Jugendliche kleinere Ausgaben ihrer Eltern und schienen die gleiche natürliche Neugier zu besitzen wie jedes andere Jungtier. Maratel und Tory hatten das Schuldorf kaum betreten, als sie auch schon von einer schnatternden Kinderschar umringt wurden. Kleine Hände zupften an Torys Kleidung und Haar, bis Maratel etwas auf Phelanisch sagte. Die taktile Untersuchung wurde beendet, doch das Interesse an ihr war ungebrochen.
Beim Anblick eines Kleinkinds, das direkt vor ihr stand, bekam Tory glänzende Augen. Er — oder sie — war kaum einen halben Meter groß. Tory holte durch Blickkontakt die Erlaubnis von Maratel ein, kniete sich hin und streichelte das Baby. Sie wurde mit einem leisen Brummen belohnt.
»Das bedeutet, dass sie es mag«, sagte Maratel.
»Wie alt ist das Kind denn?«
»Ungefähr drei Ihrer Jahre. Aber Standardjahre, keine Marsjahre.«
»Ist das nicht noch etwas zu früh für eine Trennung von den Eltern?«
»Wir erziehen unsere Kinder gemeinschaftlich. Die menschliche Kernfamilie ist uns fremd, obwohl wir natürlich damit experimentiert haben.«
»Mit welchem Erfolg?«, fragte Tory und stand wieder auf.
»Mit wechselndem Erfolg. Manche Ihrer sozialen Parameter sind bei unsrer Art leider nicht anwendbar.«
»Ich würde gern mehr darüber erfahren.«
»Das werden Sie auch. Morgen geht es los. Heute machen wir nur eine ... wie heißt es bei Ihnen? Sightseeingtour.«
»Sightseeingtour ist richtig«, pflichtete Tory ihr bei. Dies war das erste Mal, dass ein Phelaner nach einem Wort suchte, stellte sie fest.
»Möchten Sie die Besichtigungstour fortsetzen oder wieder zurückgehen und sich etwas hinlegen?«
»Weitermachen. Ich werde morgen sowieso einen Muskelkater haben. Aber das ist es mir wert.«
»Na gut. Es gibt eine Farm direkt hinter dieser Baumgruppe. Vielleicht interessiert es Sie zu sehen, wie wir unsere Nahrungsmittel erzeugen.«
»Aber sicher.«
14
In den darauf folgenden Wochen waren alle ziemlich beschäftigt. Wie versprochen führten die Phelaner ein Schulungsprogramm für ihre menschlichen Besucher durch. Und wie es sich für eine Unternehmung geziemte, die seit Jahrhunderten in der Planung war, stellten sich auch schnelle Fortschritte ein. Tory hätte es nicht für möglich gehalten, ohne die Hilfe ihres Implantats in so kurzer Zeit so viele Informationen zu verarbeiten.
Die Unterweisung begann mit einer Einführung in die Geschichte der Phelaner. Wie die Menschen stammten auch die Phelaner von Jägern und Sammlern ab, hatten die Landwirtschaft aber schon etwas früher entdeckt als die Menschheit. Wie auf der Erde hatte der Ackerbau Bewässerung nach sich gezogen, Städte und die komplexen sozialen Strukturen, die beides erforderte. So hatten beide Spezies ihren langen Aufstieg zu einer technologischen Zivilisation begonnen.
Und doch waren die Ähnlichkeiten zwischen Phelanern und Menschen irreführend. Eine Welt ist ein großer Ort mit verschlungenen Pfaden und abrupten Wendungen, und das Geflecht der Geschichte von
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