Die Seherin der Kelten
Beste aus meiner Zeit machen, ehe ich wieder in den Westen zurückkehre. Mit Eurer Erlaubnis würde ich also gerne in ein Badehaus gehen und mir anschließend einen Schneider suchen, der mir einen Satz Gewänder anfertigt, die gut genug sind, um darin in Vertretung meines Legaten und meiner Männer eine Delegation von Königen empfangen zu können. Gehe ich recht in der Annahme, dass ich raus darf?«
»Natürlich. Ich hatte Euch doch bloß hier behalten, weil ich noch einmal mit Euch sprechen wollte. Und wenn Ihr den Stock nicht braucht, werft ihn einfach weg. Ich hasse es, mit ansehen zu müssen, wenn ein Mann vor seinem Arzt den Leidenden spielt, obwohl das eigentlich gar nicht der Fall ist.«
Sie verbargen nur sehr wenig voreinander, und vieles brauchte auch gar nicht mehr ausgesprochen zu werden. Manche Dinge jedoch sollten zweifelsfrei klar sein. Bereits im Gehen begriffen, wandte Theophilus sich noch einmal um: »Ihr wisst, dass die Eceni kommen?«
»Natürlich. Prasutagos ist das Musterbild eines jeden Vasallen, dem alle anderen Könige nacheifern; Freund zweier Kaiser und jedes Gouverneurs seit Plautius. Valerius wird jedoch nicht bei ihm sein. Wo auch immer sich dieser Mann in der Welt aufhalten mag, in der Obhut seiner Leute lebt er jedenfalls nicht. Und es macht auch nichts, wenn die anderen mich erkennen; wir sind ja nun Verbündete. Wir können es uns jetzt leisten, die Kurzweil eines Prozesses und seines Richterspruchs zu genießen und anschließend sogar gemeinsam zu Abend zu essen. Und dabei lassen wir dann in aller Freundschaft die alten Zeiten wieder aufleben.«
XIII
»Was meinst du, kannst du schon stehen?«
»Das hast du mich gestern auch schon gefragt.« Das sonst blonde Haar des jungen Belgers war über den Winter und ohne die Sonne, die ihm auf den Schopf schien, recht dunkel geworden. Seine Haut, die ohnehin sehr hell war, hatte einen geradezu durchscheinenden Ton angenommen, und bläulich zeichneten sich unter ihrer weißen und stets von einem dünnen, niemals trocknenden Schweißfilm überzogenen Oberfläche die Blutgefäße ab. Verborgen vor den des Kämpfens müden Kriegern von Mona und vom Großen Versammlungshaus aus nicht zu sehen, lag Bellos auf einer Matte aus zusammengerolltem und miteinander verwobenem Stroh auf der Grasfläche zwischen der kleinen Steinhütte und dem in westliche Richtung daran vorbeifließenden Strom.
Diese Abgeschiedenheit diente allerdings nicht allein dem Wohle des Jungen. Denn Julius Valerius hatte immerhin fünfzehn Jahre seines Lebens dem Kampf gegen die Krieger von Mona gewidmet. Einige ihrer Waffenkameraden und Seelenfreunde hatte er noch im gerechten Kampf auf dem Schlachtfeld niedergemetzelt; andere aber hatte er abseits des Kriegsschauplatzes und nach Gesetzen erhängen lassen, die nur noch nach den Maßstäben der Invasoren gerecht zu nennen waren. Die Verwundeten unter ihnen hatte er als Gefangene genommen und sie weder dem sauberen Tod unter Brigas Schutz übergeben, noch hatte er sie versorgen lassen, bis sie wieder genesen waren, sondern den Befehl gegeben, sie nur gerade eben noch am Leben zu erhalten - um sie anschließend den Inquisitoren der Legionen zu übergeben. Ihre Leichen wurden später auf den hohen Berggipfeln abgelegt, gemeinsam mit ihren Traumsymbolen und einigen Stücken ihrer Kleidung, damit ihre Stammesangehörigen sie trotz ihrer verbrannten, zerfetzten und abgehäuteten Gesichter und Körper noch erkannten und wussten, wie sie gestorben waren.
Wenn Valerius irgendetwas bereute, dann tat er es in den tiefsten Winkeln seines Herzens, wo das helle Strahlen der Flammen seines Verstandes nicht mehr hinreichte. Doch er war schließlich weder freiwillig nach Mona gekommen, noch blieb er freiwillig. Und er unternahm auch keinerlei Anstrengungen, die eiternde Wunde zu heilen, die seine Anwesenheit unter jenen bedeutete, die ihren Kampf gegen Rom noch immer fortführten. Luain mac Calma war der Vorsitzende des Ältestenrats; unter den noch freien Stämmen galt sein Wort als Gesetz, und allein dieses Wort garantierte Valerius’ fortgesetzte Sicherheit. Ohne Luains Befehl aber hätte der einstige Eceni für den Verrat an seinem Volk mit einem langen, qualvollen Tod büßen müssen, und Bellos wäre mit ihm gestorben, so viel hatte man ihn bereits unmissverständlich wissen lassen.
Unter diesen Umständen hätten sie somit unmöglich gemeinsam mit den anderen Kriegern in dem großen Rundhaus leben können; mac Calma hätte seine
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