Die Seherin der Kelten
gedenke ich jetzt, nach Mona zurückzukehren. Es hat sich also nichts geändert.«
Und dennoch, die Toten haben bereits zu dir gesprochen: »So wirst du nie gewinnen, wenn du als Einzelne gegen eine Überzahl kämpfst.« Der Geist des Standartenträgers hat es dir schon ganz richtig verraten. Bist du dir wirklich sicher, dass du die Wahrheit erkennst, wenn du sie hörst?
» Den Worten eines Römers traue ich prinzipiell nicht, noch nicht einmal denen eines toten. Efnís hat mir etwas anderes mitgeteilt, und er würde nicht lügen. Ihm liegen die Eceni genauso sehr am Herzen wie mir.«
So, dein Volk liegt dir also am Herzen? Ich bin mir da nicht so sicher. Donnernd hallte der Zorn der Ahnin von den Höhlenwänden wider. Gerade dir sollen sie also am Herzen liegen, dir, die du deine Leute in den Händen eines unbedarften Kindes und eines Mannes zurückgelassen hast, der sich bereits an Rom verkauft hat? Dafür lieben dich die Eceni gewiss nicht!
Die Worte schmerzten, und somit waren sie höchstwahrscheinlich wahr. »Ich kämpfe doch nur deshalb im Westen, eben um den Osten zu befreien«, widersprach Breaca. »Im Osten leben doch jetzt ohnehin keine Krieger mehr. Rom hat sie doch alle niedergemetzelt, jene, die noch den Willen und die Geschicklichkeit zum Führen einer Waffe besaßen.«
Aber sie haben dein Volk noch nicht gänzlich ausgeblutet. Ein erst kürzlich hingerichteter Legionär sieht die nahende Zukunft zuweilen klarer, als eine lebendige Kriegerin dies vermag. Oder soll ich dir vielleicht einmal vor Augen führen, dir, letzte Kriegerin der Eceni, wie es ist für ein Volk, geschröpft zu werden, bis ihm nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr zum Leben bleibt?
Zu spät verstand Breaca, was da nun auf sie zukam, und es gab keine Möglichkeit mehr, ihm noch zu entrinnen. Ob sie ihre Augen nun schloss oder sie offen ließ, die Bilder waren die gleichen, stürmten von den schwarzen Wänden der Höhle auf sie ein, stiegen aus dem wirbelnden Wasser auf, sprangen von dem massiven Felsboden unter ihr empor.
Was Breaca nun sehen musste, das war nicht mehr länger der Stamm ihrer Kindheit mit den Erinnerungen an Bán - doch es waren längst nicht nur die Bilder von Bán, die fehlten, auch die Rundhäuser waren verschwunden, waren auseinander gerissen worden, um ihr Holz als Feuerholz zu verwenden, als es nichts anderes mehr zum Verbrennen gab. An ihre Stelle waren kleine Hütten getreten, und selbst diese waren zerbrochen. Das Land war kahl und ausgezehrt, die Weiden bis auf den letzten Halm abgegrast, die Pferde verhungert und der Teich der Götter ausgetrocknet.
Inmitten all dieser Ödnis und der Ruinen hatten sich spindeldürre Männer und Frauen - gekleidet in die typischen blauen Tuniken und Umhänge der Eceni - um einen kleinen Pferch herum versammelt, so wie sie es früher an den Markttagen getan hatten. Sie alle hatten die schwieligen, mit Erde beschmutzten Hände der Erntehelfer und Pflanzer. Nicht einer von ihnen war Krieger oder Träumer; keiner trug die Abzeichen eines Mitglieds des Ältestenrats, keiner zeigte mehr irgendein Anzeichen von Stolz oder Kampfeswillen oder von dem Feuer, das einst in ihren Herzen gebrannt hatte.
Legionssoldaten in voller Rüstung umringten diese Menschen. In der Mitte dieser beiden Ringe standen die Kinder, mehr als zwanzig an der Zahl, mit weit aufgerissenen Augen und zu Tode verängstigt. Jedes dieser Kinder war durch schwere Ketten um den Hals und um die Fußgelenke an seinen Nachbarn gefesselt. An den Stellen, wo das Eisen in ihre Haut schnitt, hatten sich offene, entzündete Wunden gebildet. Die Kinder weinten golden schimmernde Tränen, und ihre Eltern fielen auf die Knie und fingen die Tränen in ihren Händen auf wie ein kostbares Gut.
Sklaverei. Leise, mit eisiger Ruhe zischte die Ahnin das Wort. Wenn sie sich die Hunde und die Pferde genommen haben, wenn sie das Vieh und das Wild in den Wäldern abgeschlachtet haben, wenn sie sich das Eisen genommen haben, das eigentlich zu Waffen hätte geschmiedet werden sollen, und die Bronze, die zu so schönem Schmuck hätte werden können, wenn sie selbst den Halsreif der Ahnen eingeschmolzen haben, um daraus jene Münzen zu prägen, mit denen dein Volk für den Krieg zahlen muss, wenn sie alles, wirklich restlos alles mit Steuern belegt und sogar den Kleinkindern das Essen wieder aus dem Mund gerissen haben, dann kommen sie, um schließlich auch noch das lebendige Fleisch zu kaufen und selbst für das, was doch
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