Die Seherin der Kelten
wusste Breaca genau, wo um sie herum sich die anderen befanden. Airmid hockte dicht neben ihr, so dass jede von ihnen den Herzschlag der anderen spüren konnte; in diesem Fall spielte die fehlende Distanz keine Rolle. Breaca direkt gegenüber wiederum saß Cygfa, und links von Cygfa, in einigem Abstand, saß Gunovar; beide schwiegen, denn nur so ließ sich die Angst verbergen und noch ein letzter Rest von innerer Widerstandskraft bewahren. Nur indem sie nicht miteinander sprachen, konnten sie die Illusion der Furchtlosigkeit aufrechterhalten. Erst wenn sie einander berührten oder wenn sie zu sprechen versuchten, würde offensichtlich werden, dass ein jeder von ihnen am ganzen Körper zitterte - ein kleiner, unaufhörlicher Tremor, den man nicht vollkommen unterdrücken konnte, sondern nur erdulden und einigermaßen in Grenzen halten, so dass man ihn bis zum kommenden Morgen vielleicht so weit unter Kontrolle hatte, dass die anderen nichts davon bemerkten.
An den kommenden Morgen zu denken, half jedoch auch nicht; ganz im Gegenteil. Breaca drückte ihr Rückgrat fest gegen das Holz und zwang sich, ihre Gedanken von der Zukunft abzuwenden. Stattdessen dachte sie an Essen und an Wasser, an das dringende Bedürfnis zu urinieren, an die Kälte der Wand und an das Gewicht des Torques der Ahnen um ihren Hals. Mittlerweile bedauerte sie es, den Reif nicht doch Dubornos gegeben zu haben, damit dieser ihn für Graine und für die Zukunft verwahren könnte, ganz gleich, wie sehr die Ahnin auch dagegen gewettert haben mochte. Nun würde der Prokurator den kostbaren Reif an sich nehmen - vor oder nach ihrem Tod. Eingeschmolzen und zu Goldmünzen verarbeitet würde der Torques so viel einbringen, dass man davon ein halbes Jahr lang eine halbe Zenturie bezahlen konnte. Oder eine komplette Zenturie für ein Vierteljahr. Oder eine achtköpfige Zeltbelegung für...
»Warum sollten sie sich eigentlich überhaupt noch die Mühe machen, ein Gerichtsverfahren gegen uns einzuleiten?« Diese Frage kam von Gunovar. Irgendwo unweit von Breaca ertönte ihre Stimme aus der Dunkelheit, und sie klang durchaus fest.
»Nur fürs Protokoll, um der Sache wenigstens noch einen Anschein von Rechtmäßigkeit zu verleihen«, erklärte Breaca. »Wir sind schließlich die Familie eines Königs. Sie werden also wollen, dass es nach außen hin so aussieht, als ob wir vollkommen gesetzeskonform verurteilt worden wären. Unbedeutende Menschen mit unbedeutenden Göttern tun nur selten etwas, was nicht nachvollziehbar ist. Cygfa, war es damals in Rom auch so wie jetzt?«
»Wenn man den halben Monat unberücksichtigt lässt, den wir auf der Reise dorthin im Rumpf eines Schiffes eingekerkert waren; und die Ärzte, die im Anschluss daran darauf bestanden, uns einer mehr als eingehenden Untersuchung zu unterziehen; und die zwei Monate des Wartens, während der sie Caradoc und Dubornos mehrfach folterten...Wenn man alles das nicht mitzählt, ja, dann war es ziemlich genauso wie jetzt auch. In Rom gaben sie uns allerdings zu essen, und sie gaben uns Wasser. Sonst wären wir gestorben.« Cygfa brachte es trotz allem irgendwie fertig, trocken amüsiert zu klingen. »Auch das Zittern hört schließlich irgendwann wieder auf, ungefähr nach dem zweiten Monat. Ein Mensch kann eben nur ein begrenztes Maß an panischer Angst aushalten. Danach nimmt man die Panik einfach nur noch zur Kenntnis, reagiert aber nicht mehr körperlich darauf.«
Es schien ganz so, als könnte es entgegen Breacas ursprünglicher Vermutung doch nicht schaden, wenn sie miteinander sprachen, sich über ihre derzeitige Lage und ihre Gedanken und Gefühle austauschten. Eine Angst, die man offen bekennen konnte, wurde zumindest ein wenig erträglicher. Breaca meinte: »Mit etwas Glück sollten wir aber eigentlich schon lange vorher zu den in Brigas Obhut weilenden Großmüttern eingegangen sein.«
Cygfa schnaubte leicht belustigt. »Das können wir nur hoffen. Denn Julius Cäsar hielt beispielsweise Vercingetorix, den Kriegsherrn der Gallier, volle sieben Jahre lang im Kerker gefangen, ehe er ihn schließlich hinrichten ließ. Doch ich glaube nicht, dass unser Prokurator derart viel Geduld besitzt.«
»Oder sein Kaiser.«
»In der Tat«, stimmte Gunovar zu. »Obgleich es besser wäre, wenn er nicht herausfände, dass du die Bodicea bist. Dann nämlich bestände die Gefahr, dass seine Geduld plötzlich doch noch sehr viel größer würde und dass damit du - und folglich auch wir - noch sehr viel
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