Die Seherin der Kelten
bin nicht bereit, deinen Preis zu zahlen.«
Noch nicht einmal, um damit deiner Tochter das Leben zu retten?
Es herrschte Dunkelheit. Ein Augenblick grellen Schmerzes. Peitschenhiebe wie Blitze. Doch plötzlich verlor sich all dies in der Erinnerung an die Stimme von Graine, und die Stille, die folgte, als Graines Schreie schließlich endeten. »Letzte Nacht, als ich dich darum gebeten hatte«, widersprach Breaca, »bist du nicht gekommen.«
Stattdessen komme ich ja nun zu dir.
» Was bietest du mir an?«
Das Leben deines Kindes.
» Und was verlangst du dafür?«
Was ich stets verlangt habe, dass du endlich einmal ohne diese arrogante Haltung auf mich zukommst, dass du endlich die Mauern hinter dir lässt, die du um dich herum errichtet hast, und dass du erkennst, was es hinter diesen Mauern zu entdecken gibt.
» Aber was macht das noch für einen Sinn, wenn ich doch ohnehin sterbe?«
Willst du denn etwa vollkommen unwissend in das Land jenseits des Lebens eintreten, willst du nie erfahren, zu was du bestimmt warst, wer du hättest sein können? Willst du ... Der Schmerz legte sich immer schwerer auf sie, trieb sie immer tiefer in die Dunkelheit hinein. Es war schwer, noch irgendetwas deutlich verstehen zu können, selbst die Stimme in ihrem Kopf verschwamm.
Das Schwarz wurde noch tiefer, schien wie trübe zu werden, während die Ahnin immer hartnäckiger drängte. Komm zu mir, Verkünderin des Sieges. Komm. Ich bin doch gar nicht mehr so weit weg.
Komm zu mir. Komm zu mir. Komm zu ... Und atme. Einfach atmen. Jemand hatte einen Eimer Wasser über Breacas Kopf geleert, und die Kälte versetzte ihr einen Schock, ähnlich wie die Peitschenhiebe, die, Blitzen gleich, auf sie einschlugen. Alles, wozu sie jetzt noch im Stande war, war tief einzuatmen und...
Noch nicht jetzt. Komm zu mir. Folge der Dunkelheit.
Doch es gab keine Dunkelheit mehr. Nur die Blitze - und die waren plötzlich rot - sowie ein kurzes, schmerzhaftes Blinzeln.
Komm zu mir. Ich bin hier, um dich zu stützen. Folge einfach der Dunkelheit.
Etwas in ihr würde unter dem Druck zerbrechen; der kleine Kern ihres restlichen Stolzes war zu klein, um zu überleben. Gefangen im Strudel, gefangen im Zentrum des Blitzes, überwältigt von dem qualvollen Schmerz in ihren Armen, ließ Breaca von den Eceni, Trägerin des Schlangenspeers, von ihrem Stolz ab und folgte um ihrer Tochter willen jenem Hauch von einer Stimme - einer Stimme, der sie ganz und gar nicht vertraute - in die Dunkelheit hinab.
Sie befand sich in einer Höhle, und mit ihr in dieser Höhle befand sich auch die Träumerin der Ahnen, aber es war nicht jene Höhle aus Fels in den hohen Bergen östlich von Mona, durch die der Bach floss, sondern diese Höhle hier war ein wahrhaftig sicherer Ort, wo Breacas kleiner, noch verbliebener Wesenskern vielleicht geschützt wäre vor den Angriffen und nicht zerbrechen würde, oder zumindest noch nicht.
Willkommen. Die Ahnin war unfassbar alt. Die Schlange, ihr Traumsymbol, lebte in der Ahnin selbst. Und Breacas Vorfahrin war riesig, machte sich jedoch ganz klein, damit man sich ihr ohne Angst nähern möge. Willkommen. Wir hätten uns wohl beide wünschen dürfen, dass du schon eher zu mir gekommen wärst.
»Aber ich wusste doch nicht, wie. Außerdem bestand dazu für mich auch gar kein Anlass.«
Das Lachen wurde zu einem Teil ihrer selbst. Der Anlass hat für dich bestanden, seit du ein Kind warst, nur dein Stolz ließ dies einfach nicht zu.
Zu einer anderen Zeit hätte Breaca vielleicht widersprochen, doch ihr Stolz war ihr schon bei zu vielen Gelegenheiten im Wege gewesen, als dass sie diese noch alle hätte aufzählen können; und es war auch gar keine Zeit für eine Auflistung. Gefangen in der von Schweigen erfüllten Höhle, gefangen in einem Wunder der Schmerzlosigkeit, oder gefangen in einem Schmerz, der so allumfassend war, dass er sie schlichtweg ertränkte und sie bereits im Sterben begriffen war, streckte Breaca die Hand aus nach der uralten Vergangenheit.
»Was muss ich tun?«
Erkenne, wer du bist. Im Übrigen gilt das für jeden; denn was sollte es sonst zu erkennen geben?
Cunomar beobachtete, wie seine Mutter zum ersten Mal das Bewusstsein verlor, wie sie mithilfe eines Eimers Wasser dazu gezwungen wurde, wieder zu fühlen, und wie sie kurz darauf abermals ohnmächtig wurde.
Er dachte, sie würde sterben, betete, dass sie endlich stürbe, doch das unregelmäßige Heben und Senken ihres Brustkorbs verriet ihm, dass sie dem
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