Die Seherin von Garmisch
der Straße, und diesmal hatte jemand
die Frau weggehen sehen. Aber bevor er sie einholen konnte, war sie in den Bus
gestiegen. Der hatte aber eine Überwachungskamera, und so hatten wir endlich
ein Bild von der Frau. Das haben wir veröffentlicht.«
»Aha«, sagte Schafmann. Er bog in die Wildenauer
Straße in Richtung Skistadion ab.
»Sag mal, wo fährst du eigentlich hin?«, fragte
Schwemmer irritiert.
»Zu meinem Heilpraktiker.«
»Aha. Und was dann?«
»Da steig ich aus und mach Feierabend. Sozusagen.«
»Wie?«
»Fahr bitte allein zur Wache zurück. Wenn ich Glück
hab, kann er mich zur Akupunktur dazwischenschieben.«
»Wieso brauchst du Akupunktur?«
»Wegen meinem Rücken.«
»Was ist denn damit?«
»Wissen sie nicht genau. Fühlt sich an wie Rheuma.«
Schwemmer verdrehte die Augen. »Und das muss grade
jetzt sein?«
»Es ist vier Uhr durch. Was richtig Dringendes steht
nicht an, und Überstunden hab ich wohl genug abzufeiern. Außerdem ist heut noch
Elternabend, und ich muss dahin wegen der neuen Mathelehrerin«, sagte Schafmann
und wirkte dabei nicht, als freue er sich allzu sehr auf seinen Feierabend. Sie
hielten vor der Praxis, und Schafmann schaltete den Motor ab.
»Was war mit der Frau in Ingolstadt?«, fragte er dann.
»Mit wem? Ach so … Jemand hatte sie erkannt, als ihr
Foto in der Zeitung war. Allerdings hörten da auch die Stimmen mit einem Schlag
auf. Sie schwor Stein und Bein, dass sie da gewesen waren, ich hab selbst mir
ihr da am Tisch gesessen, und natürlich war da nix. Wir haben sie untersuchen
lassen, also psychiatrisch. Der Doktor sagte, dass sie sicher sei, die Wahrheit
zu sagen. Aber krank war sie auch nicht. Nur halt nicht sehr helle. Anklage
wurde erhoben, das Ganze zog sich. Dann haben die Kollegen in Regensburg
jemanden mit gestohlenem Schmuck erwischt. Und das war ein Nachbar von unserer
Dame. Da dämmerte mir was. Ich hab ihr seine Stimme vorgespielt, und sie hat
sie wiedererkannt. Der hatte durch den Lüftungsschacht mit ihr geredet.
Wohnungen ausbaldowert, geknackt, und die Frau hat dann die Wertsachen
rausgeholt. Auf der Straße hat er dann nur die Tüten mitnehmen müssen.
Minimales Risiko für ihn.«
»Und? Was schließt du da draus?«
»Ist halt so ‘ne Sache mit übersinnlich.«
Schafmann sah ihn einen Moment lang schweigend an,
dann stieg er aus.
»Vergiss es nicht«, sagte er, bevor er die Tür zuwarf.
* * *
Severin hatte immerhin die Höflichkeit aufgebracht,
die Staatsanwältin zur Tür zu bringen. Der Ernst in seinem Gesicht, als er
wieder hereinkam, löste bei Johanna Besorgnis aus. In Momenten wie diesem
schien er ihr fast zu erwachsen für sein Alter.
»Was wollt’n die?«, fragte er und setzte sich auf die
Bank, auf der zuvor Frau Isenwald gesessen hatte. Er schnüffelte skeptisch. Das
elegante Parfüm der Dame hing noch in der verbrauchten Luft der kleinen Küche.
Johanna stand auf und setzte das Fenster auf Kipp.
»I glab, de wollt nur kein Fehler ned machn«, sagte
sie. »De habn Angst, dass i recht habn könnt.«
Severin sah nur die Tischplatte an.
»Heut Abend«, sagte er leise. »Da Schibbsie und da
Girgl wissn was. Aber sie sagn mir nix. I glaub, das passiert heut Abend.«
Sie schwiegen lange.
»I geh da rauf«, sagte Severin endlich.
»Des kommt ned in Frag! Überhaupts ned«, entgegnete
Johanna scharf.
»Ich geh da rauf«, wiederholte Severin trotzig.
»Was glabst denn, kannst machn da drobn? Willst di a
derschiaßn lassn?« Der Zorn in der Stimme seiner Großmutter war aufrichtig
genug, Severins Selbstsicherheit zu erschüttern, aber er gab nicht nach.
»Wann die drei da was vorhabn, will i wissen, was!«
»Des brauchst ned wissn! Was könnts denn da scho tun?«
»Wann die sehn, dass i da bin, vielleicht …«
»Was scho? Werst a derschossn! Da bleibst! I lass di
ned vor de Tür heut Nacht!«
Es war ihr ernst. Eher würde sie ihren Enkel in den
Keller sperren, bevor sie ihm erlaubte, im Dunkeln dort droben mitzuerleben,
was immer passieren würde.
Der Blick, mit dem Severin sie ansah, zeigte, dass ihm
das klar war. Er nickte ergeben. »Wennst meinst«, sagte er leise, und fast
klang es, als sei er erleichtert.
Die Küchentür ging auf. Danni steckte zögernd den Kopf
herein.
»Streitets ihr?«, fragte sie leise.
»Na«, antwortete Johanna. Die ängstlichen Augen der
Kleinen brachten ein Lächeln auf ihr Gesicht.
»Na, mir streiten ned«, sagte auch Severin. »Komm halt
her.«
»I hab noch Hunger.«
Danni
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