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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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ihm
erwartete, welche Fragen man ihm stellen würde. Und er hatte keine Ahnung,
welche er beantworten konnte, ohne Petrs Zorn zu erregen.
    Aber hatte sich nicht sowieso alles verändert? Spacko
war tot, und einer von den beiden anderen wahrscheinlich auch. Der Proberaum
war explodiert. Galt Petrs Drohung da überhaupt noch? Oder galt sie erst recht?
    Plötzlich durchzuckte es ihn eiskalt. Wie
selbstverständlich war er davon ausgegangen, dass Petr mit den dreien gemeinsame
Sache machte. Was aber, wenn er sich irrte? Konnte nicht genauso gut Petr
selbst Spacko erschossen haben? Er hatte eine Pistole!
    Gut, zur Zeit der Explosion war Petr bei ihm in
Garmisch gewesen, aber schließlich gab es Zeitzünder und solche Sachen.
    Severin knirschte mit den Zähnen. Er war ratlos. Wie
riskant war es, den Bullen von Petr und der Waffe zu erzählen? Er wusste nicht
mal seinen Nachnamen, geschweige denn die Adresse. Vielleicht hieß er nicht mal
Petr.
    Er wusste überhaupt nichts, was irgendeine Bedeutung
gehabt hätte. Wenn Petr ihm die Waffe nicht gezeigt hätte, was hätte er dann
überhaupt zu erzählen gehabt?
    Er saß auf dem Gang der Polizeistation und fror.
    Dann kam Schibbsies Tante aus Hammersbach, Frau
Schieb, deren Mann die Halle gehörte. Sie kam vom Treppenhaus her den Gang
entlang, kreidebleich, als stünde sie unter Schock, und ließ sich langsam auf
einen der Stühle neben Severin sinken. Severin hatte den Eindruck, sie zittere.
    »Geht’s Eane guat, Frau Schieb?«, fragte er.
    Frau Schieb sah ihn irritiert an, erkannte ihn nicht
sofort.
    »Ach … du bist doch der …«
    »Severin, Severin Kindel.«
    »Ja. Der Severin … Hast du eine Ahnung, wo der Siggi
stecken könnt?«, fragte sie mit flehendem Unterton.
    »Na, leider ned.«
    »Mein Gott … wie konnt das nur passieren?«, flüsterte
Frau Schieb, ohne ihn anzusehen. »Wenn Siggi da drin war … Seine Eltern sind ja
gar nicht da. Die sind diesen Monat ja in Amerika … Was soll ich denen denn
erzählen? … Und mein Mann, der ist auch fort …« Sie sah starr vor sich hin.
    Von der Treppe her kam ein Paar Ende vierzig auf die
Stuhlreihe zu. Der Mann trug einen weißen Anstreicheranzug und die Frau den
hellblauen Kittel einer Verkäuferin. Es waren die Schobers, Girgls Eltern.
    Frau Schobers Mund wurde zu einer haarfeinen Geraden,
als sie Severin bemerkte.
    Er grüßte sie mit einem Nicken, aber sie nahmen es
nicht zur Kenntnis. Der Girgl erzählte immer , dass seine Eltern nicht wollten,
dass er »solche« Musik mache, und er deshalb immer wieder in Streit mit ihnen
gerate. Er nahm sie deshalb schon lange nicht mehr ernst. Wahrscheinlich gaben
sie Severin dafür mindestens einen Teil der Schuld. Sie wandten sich von ihm
ab, gingen ein Stück zurück in Richtung Treppe und blieben dort stehen.
    Severins Gedanken wanderten zurück zu Petr und seiner
Pistole.
    Würde die Polizei ihn vor Petr schützen? Schützen
können?
    Sie haben ja nicht mal Spacko geschützt, dachte er,
obwohl die Großmama ihnen gesagt hat, was passieren würde. Wenn ich denen von
Petr erzähle, muss ich damit rechnen, dass der mich über den Haufen schießt.
    Dabei hatte er doch sowieso nichts zu tun mit all dem,
was immer Schibbsie und die anderen vorhatten. Und er konnte auch nichts
erzählen. Wieder ging ein Beamter in Zivil eilig an der Stuhlreihe vorbei in
Richtung Treppe. Severin stand auf und folgte ihm in ein paar Metern Abstand.
Der Beamte lief mit leichten Schritten die Treppe hinab ins Erdgeschoss. Dort
schloss er die Glastür zum Parkplatz auf und ging hinaus. Die Tür wurde vom
Schließer wieder zugezogen. Severin war schnell genug. Er erreichte sie, kurz
bevor sie ins Schloss fiel, und trat ins Freie.
    Normalerweise hätte einer der Beamten vorn in der
Wache das auf den Überwachungsmonitoren bemerkt. Aber es waren keine normalen
Tage für die Polizei in Garmisch-Partenkirchen.
    * * *
    Schwemmer lag auf dem Bauch, und Burgl massierte ihm
sanft mit einem nach Zitrusfrüchten duftenden Öl den Rücken.
    »Ich darf echt gar nicht daran denken«, sagte
Schwemmer halblaut.
    »Dann lass es«, sagte Burgl.
    »Ich versuch’s ja, aber …« Aber die Schlagzeile
Högewalds, die ihn morgen früh erwartete, verursachte jetzt schon Stiche in
seiner Magengegend.
    »Dein Nacken ist hart wie ein Brett. Du hast
garantiert ein Schleudertrauma«, sagte Burgl.
    »Ich hab gelesen, Schleudertrauma gibt es
ausschließlich in Ländern, wo die Versicherung dafür zahlt«, sagte

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