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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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in die Richtung,
aus der er gekommen war.
    »Ey Alter, wo gehst du hin?«
    »Zruck zu de Bulln. Eich verpfeiffn. Was i gestern
schon hätt tun solln.«
    Severin schritt schnell aus, alle Muskeln angespannt.
Jeden Moment rechnete er damit, von hinten angegriffen zu werden, aber nichts
passierte. Als er vielleicht fünfzig Schritt gegangen war, drehte er sich um.
    Die Straße hinter ihm war dunkel und leer.
    * * *
    Was genau ihn geweckt hatte, wusste Schwemmer nicht.
Entweder die nagende Übelkeit am unteren Ende der Speiseröhre oder der
Schüttelfrost oder das Gefühl, jemand versuche, ihm eine Stricknadel in den
rechten Tränenkanal zu drücken. Er tastete nach dem Schalter, aber als das
Licht auf seine Augen traf, stöhnte er auf. Burgl war noch nicht im Bett, und
ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch keine Dreiviertelstunde
geschlafen hatte. Irritiert stellte er fest, dass scheinbar zwei Wecker und
zwei Lampen auf seinem Nachttisch standen.
    Hilflos stand er auf, er war sich im Unklaren, auf
welches Leiden er zuerst reagieren sollte, entschied sich dann aber gerade
rechtzeitig noch für die Übelkeit und schaffte es so knapp bis zur Toilette, wo
er Burgls wunderbare Hühnersuppe komplett unverdaut und am falschen Ende wieder
ausschied. Er richtete sich keuchend auf, aber schon Sekunden später zwang ihn
der nächste Brechreiz nieder, gnadenlos, obwohl sein Magen kaum mehr etwas bot,
was zu erbrechen gewesen wäre.
    Schwer atmend kniete er vor der Schüssel, und ihm
wurde klar, dass er sich in seinem ganzen Leben noch nie so elend gefühlt
hatte.
    Er hörte, wie hinter ihm Burgl die Toilette betrat,
aber der nächste Würgereiz machte es ihm unmöglich, sich zu ihr umzudrehen.
    Er fühlte, wie sie ihm etwas überlegte, seinen
Morgenmantel vielleicht, er hätte sich gern darüber gefreut, aber er konnte
nicht. Ganz langsam klang der Würgereiz ab, und so erhielt sein Körper die
Möglichkeit, sich auf den brachial bohrenden Kopfschmerz und den Schüttelfrost
zu konzentrieren.
    »Hilf mir bitte hoch«, flüsterte er, und Burgl reichte
ihm eine Hand, an der er sich hochziehen konnte. Als ihn die Strahlen der
Deckenlampe trafen, stöhnte er auf und schirmte seine Augen mit der erhobenen
Hand ab. Auf seine Frau gestützt schleppte er sich zurück ins Bett.
    »Mach bitte das Licht aus«, röchelte er. Seine Zähne
klapperten. Burgl verdunkelte das Zimmer, ging hinaus und kehrte bald darauf
mit einer dicken Wolldecke zurück, die sie über sein Federbett breitete.
Außerdem hatte sie einen Eimer dabei, den sie neben ihm auf den Boden stellte.
Sie fühlte ihm prüfend die Stirn.
    »Fieber hast keins«, sagte sie.
    »Ich weiß nicht, was ich hab. So was hatt ich noch
nie. Und ich will’s auch nicht haben.« Ihm war kalt, trotz der Wolldecke.
    »Ich hol dir ‘nen Wärmebeutel«, sagte Burgl. »Und dann
fahr ich in die Apotheke.«
    * * *
    Johanna Kindel wachte auf, als Severin das Wohnzimmer
betrat. Sie war auf dem Sofa eingeschlafen. Die Wolldecke, mit der sie
zugedeckt war, musste Danni über sie gebreitet haben.
    »Seve, mei Bua«, sagte sie erleichtert.
    »Is vielleicht a Hells im Kühlschrank?«
    »Na. ‘s tut mir leid.«
    »Macht nix.«
    Er setzte sich zu ihr aufs Sofa und ließ die Schultern
hängen.
    »I hab an Schibbsie gsehn …«
    Johanna setzte sich auf. Zögernd legte sie ihren Arm
um ihn. Er hatte das seit Jahren nicht mehr zugelassen, aber nun legte auch er
den Arm um sie.
    »Da Schibbsie, des is so a Megaoarschloch«, sagte er.
»I weiß gar ned, wie i des so lang aushaltn hab können mit dem in da Band.«
    »Wie hod des ois nur passiern können? Wos is da
gwesn?«
    »Des weiß i a ned. Irgendwas hams ausgfressn, de drei.
I hab dene Bulln ois gsagt, was i gwusst hab. Jetzat hoff i nur, die passn
besser auf mi auf als auf an Spacko.«

VIER
    Der Adler landete sanft in einem Baumwipfel am
Rande einer leeren Straße. Es war die dunkelblaue, taunasse Stunde vor
Sonnenaufgang. Eine Bushaltestelle war zu sehen, eine Bank, aber keine Häuser.
Es war still. Aber dann sah sie eine Bewegung. Ein magerer, kleiner Mensch
näherte sich. Er schleppte ein Bein nach. Seine Jacke hielt er krampfhaft mit
einer Hand zu. Sie hörte ihn keuchen. Er erreichte die Bank, sank darauf
nieder, erschöpft war er, das konnte sie erkennen. Nun öffnete er vorsichtig
die Jacke und besah seinen Unterleib. Seine Hose war voller Blut. Sie sah, dass
er noch jung war. Und dass eine Pistole in seinem Gürtel steckte.
    Dann flog

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