Die Seherin von Knossos
gesellte sich zu ihnen, wirbelnd und kreiselnd und ganz der Freiheit des Augenblicks hingegeben. Seit sie sich Sibyllas Fähigkeiten angeeignet hatte, machte das Tanzen wirklich Spaß.
Ihr Magen begann zu verkrampfen, und sie kehrte auf ihren Platz zurück, um nach Wasser zu winken. Vielleicht setzte ja der Wein ihrem Magen so zu?
Wenig später ließ sich Cheftu neben ihr nieder. »Wieso tanzt du nicht, Chloe?«
»Ich bin nicht in Stimmung«, antwortete Chloe. »Ich glaube, ich habe mich überfressen.«
Sein Blick war zärtlich, aber kurz. »Dann ruh dich aus, Geliebte Sibylla.« Er lächelte sie über seinen Becher hinweg an. »Ich befehle es dir als Spiralenmeister.«
»Ich glaube, das werde ich.« Chloe erhob sich. Sie fühlte sich wirklich nicht besonders.
»Brauchst du jemanden, der dich zudeckt?«
Chloe schüttelte den Kopf. »Aber nur zudeckt.«
Cheftus Blick wurde eindringlicher. »Was ist denn?«
»Ich habe zu viel gegessen«, sagte sie, presste sich im näch-sten Moment die Hand vor den Mund und verschwand durch eine Seitentür.
Während sie sich übergab und Cheftu ihr dabei den Kopf hielt oder ihr über das Haar strich, erkundigte er sich, was genau sie gegessen hatte. War etwas darunter, das keiner außer ihr gegessen hatte?
Chloe konnte sich nicht entsinnen; schon bei dem Gedanken ans Essen wurde ihr übel. Noch mal.
»Ich glaube, jemand hat dir ein Gift untergemischt«, sagte Cheftu.
»Man braucht nicht viel, um deinen Körper zu schwächen und deine Gedärme in Aufruhr zu versetzen.«
»Wieso?«, krächzte Chloe.
»Ileana.«
Der Name reichte als Antwort. Als Chloe zwischen zwei Anfällen mit schweißnassem Gesicht zur Ruhe kam, schwor sie noch erbitterter, die Himmelskönigin zu schlagen. Wer Gift einsetzte, um einen Wettlauf zu gewinnen, eignete sich keinesfalls zur Regentin.
Sie ließ ihren Kopf auf den angenehm kühlen Boden sinken. Cheftu strich ihr übers Haar. »Soll ich dich ins Bett bringen?«
»Nur wenn du versprichst, mich im Arm zu halten«, sagte sie schniefend. Gott, ich kann es nicht ausstehen, wenn ich so eine Heulsuse bin!
»Oui, ma chère«, sagte er und nahm sie in die Arme.
»Hältst du mich für ein Tier? Es geht dir nicht gut ...«
»So habe ich es nicht gemeint. Ich will nur nicht, dass du mich allein lässt.« Chloe schmiegte sich an ihn und fühlte sich sofort sicher, geborgen und getröstet. Er küsste sie auf den Kopf und stieg die Treppe mit ihr hinauf.
»Ich brauche eine Zeugin, Sibylla.«
Chloe rieb sich die Augen und verkniff sich ein Gähnen. »Es ist schon spät, Selena. Kann das nicht warten?«
»Die Rache hat ihre eigene Zeit«, erwiderte die neue Kela-Ata.
Chloe seufzte. »Ich hole nur schnell einen Umhang.«
»Wir könnten es hier tun«, erbot sich Selena. Chloe musste an Cheftu denken, der nebenan schlief, und lehnte ab. Ihre Beziehung zum Spiralenmeister war ein Geheimnis, das sie nicht zu lüften beabsichtigte. Sie warf sich im Laufen einen Umhang über und folgte Selena zwei Treppen hinab zu ihren Gemächern. Selena trat in das leergeräumte Zimmer, wo Chloe gegen die Wand sank und sich nach einer Zahnbürste sehnte.
Selena rief Kela an, wobei sie ausgefeilte Muster in den Sand auf dem Boden zog. »Du musst meinen Körper verteidigen, solange ich fort bin«, erklärte sie.
Chloe gähnte nochmals. »Verteidigen?«
»Ja. Während meiner Geistreise.« Sie sah zu Chloe auf. »Sei mir nicht böse, aber ich will nicht mit einem fremden Gesicht aufwachen. Ich will nicht so sein wie du.«
»Tausend Dank«, erwiderte Chloe trocken.
Sobald die Muster gezogen waren, trat Selena in die Mitte, verneigte sich zu allen vier Spitzen hin, die je einem Element zugeordnet waren - Feuer, Wasser, Wind und Erde -, und ließ sich dann nackt im Schneidersitz nieder. Aus dem Täschchen um ihren Hals zog sie Mohngummi, den sie unter ihre Zunge steckte, um dann die Formel zu sprechen, die es ihrer Psyche ermöglichen würde, vorübergehend ihren Körper zu verlassen. Selena spürte, wie ihr Körper immer schwerer wurde, und lok-kerte ihren Griff auf ihr Fleisch, jedoch nicht ohne gleichzeitig eine silberne Öse fest um ihr geistiges Selbst zu schließen.
Selenas Psyche flog über die schwarzen Himmel und sank schließlich im Palastbau nieder, Wände und Decken durchdringend, als wären sie schwere Luft. Sie schwebte über ihrer Jagdbeute und sprach zu ihm, bis er in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen pendelte.
»Ich habe eine Geschichte für dich,
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