Die Seherin von Knossos
leuchteten fast taghell und vertrieben, da sie in verschiedenen Höhen angebracht waren, alle Schatten.
Der Rat stand auf dem ersten Balkon, wo noch vor wenigen Tagen die Adligen Aztlans gestanden hatten.
Die letzte Prüfung stand an.
Phoebus baute sich vor ihnen auf und kämpfte das Beben in seinem Körper nieder.
Er hatte den Apis-Stier erlegt, er hatte sich in der Pyramide als würdig erwiesen und das Labyrinth überlebt; dies war die letzte Prüfung. Er musste sich zu jenem Akt durchringen, der vielen diente, doch wenigen Schmerzen zufügte.
Die Fruchtbarkeit der Felder musste sichergestellt werden.
Der König musste sterben.
In neunzehn Sommern werde ich hier stehen, dachte er. Ich werde in das Gesicht meines Sohnes blicken und wissen, dass ich töten muss oder getötet werde. Weiter, über das Ritual hinaus, wagte er nicht zu denken. Er war Olympier, er würde siegen.
Alles war still.
Er hob den Blick und sah sich um, ohne dass er gewagt hätte, den Kopf zu drehen. Niko lehnte mit verschränkten Armen an der Wand gegenüber. Neben Niko stand Phoebus’ Dreizack, mit polierten und geschliffenen Zinken, dazu bereit, Haut zu durchstoßen. Phoebus wandte den Blick ab. Sein Körper roch scharf, Angst mischte sich in seinen Schweiß. Seine Gedärme rumorten, und ihm war übel. Apis sei Dank, dass nicht Eumelos eines Tages hier stehen würde. Lieber ließ er sich von einem ungeliebten Sohn auslöschen.
Das Krachen von Holz auf Stein schallte durch die Kammer, als die Doppeltür aufflog. Phoebus’ Handflächen waren feucht, und er presste die Knie zusammen. Zelos kam durch die Tür herein, gefolgt von Spiralenmeister und Dion, der den Dreizack des Goldenen Stieres trug.
Zelos sah keineswegs so aus, als hätte er seine besten Sommer bereits hinter sich, dachte Phoebus mit plötzlich anschwellendem Stolz. Er war immer noch der größte Mensch in Aztlan, und das feine blonde Haar flog ihm über die Schultern, auch wenn schon weiße Strähnen darin leuchteten. Sein Körper war straff, durchtrainiert, dunkelhäutig, und mehrere Dutzend Kinder von einer ganzen Schar Nymphen zeugten von seiner Männlichkeit.
Die blauen Augen, die sowohl Phoebus als auch Eumelos geerbt hatten, wirkten blass und traurig. Der neue Minos winkte die beiden Kämpfer nach vorn. Phoebus trat zu seinem Vater, wollte den Sonnenaufgang hinausschieben, wollte nicht zaghaft erscheinen und seiner Sippe dadurch Schande bereiten.
Nur ein einziges Mal war die Tradition nicht erfüllt worden. Der Goldene Stier Kronos hatte seinen Sohn besiegt und achtunddreißig Sommer lang regiert.
Am Ende seiner Regentschaft war er schwach und willenlos gewesen, und die Felder hatten brachgelegen. Zelos hatte die Schlacht mit Leichtigkeit gewonnen und das Opfer aufgenommen, auch wenn in Kronos nur wenig Macht geblieben war.
Pateeras’ Hände packten seine Unterarme, und Zelos lächelte. »Du bist meiner würdig, mein goldener Sohn«, sagte er. Seine Stimme klang belegt, und seine Miene wirkte resigniert. »Trotzdem verlangen die Sippe und das Imperium, dass wir in dieser Schlacht unser Bestes geben. Du hast bewiesen, dass dein Geist gesund ist, dass deine Reflexe schnell und sicher sind, dass dein Verstand von außergewöhnlicher Schärfe ist -nun musst du beweisen, dass deine Willenskraft und dein Gehorsam über jeden Zweifel erhaben sind.«
Phoebus schüttelte zustimmend den Kopf.
»Danach musst du noch deine Selbstbeherrschung unter Beweis stellen. Kein Mensch kann führen, wenn er den Weg nicht selbst gegangen ist. Aztlan leidet unter den Schmerzen - Geburtswehen, wie ich hoffe - einer neuen, ruhmreichen Generation ...« Zelos’ Stimme erstarb. »Ich beklage nur, dass ich dich nicht werde herrschen sehen.«
Phoebus erwiderte mit festem Druck den Griff seines Vaters.
»Nun kämpfe gegen mich, Phoebus. Zeige mir, dass mein Stolz berechtigt ist. Man soll nicht raunen, dass der Sieg über
Hreesos Zelos leicht war.«
»Ich höre, du hast beinahe alle Seesoldaten niedergerungen«, antwortete Phoebus lächelnd. »Mir schlottern schon die Beine.«
Zelos lachte, es war ein einsames trostloses Geräusch. »Erfülle deine Pflicht Ileana gegenüber«, sagte er.
Zorn, sorgsam verborgen, flammte in Phoebus auf. »Das werde ich, Pateeras. Ich werde mich um Ileana kümmern.«
Sein Vater sah ihn an, suchte in seinen Augen. Dann blickte er auf ihre ineinander verschränkten Arme, die einander so fest umfassten, knapp unter dem Ellbogen. Der Goldene Stier Zelos
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