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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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Alphabets: Blake, Bloch. Welch angenehmer Zufall.
    Nach der Versammlung lief ich Dora im Übergang hinterher. Ich nahm sie beiseite und fragte, ob sie Ernessa heute Morgen beim Singen beobachtet hätte.
    »Wovon redest du eigentlich?«, fragte Dora. »Es interessiert keinen, dass du Jüdin bist. Du leidest allmählich unter ausgewachsenem Verfolgungswahn.«
    Jeden Morgen kann Ernessa das nicht machen. Die Lehrerinnen würden es merken.
Nach dem Abendessen
    Ich fand die Passage aus Carmilla, nach der ich gesucht hatte:
     
    Nun ließ sie sich auf einer Bank nieder. Ihr Gesicht verwandelte sich in einer Weise, die mir Schrecken, einen Augenblick lang sogar Entsetzen einjagte. Es verdüsterte sich und wurde furchtbar fahl. Mit zusammengebissenen Zähnen, geballten Händen, gerunzelten Brauen und aufeinander gepressten Lippen starrte sie zu Boden und zitterte dabei am ganzen Körper, als sei sie von heftigem Schüttelfrost befallen. Sie schien mit äußerster Anstrengung einen Anfall zu unterdrücken. Endlich, nach atemlosem Kampf, brach ein dumpfer, erschütternder Schmerzensschrei aus ihr hervor, und dann verebbte ihre hysterische Erregung. »Siehst du, das kommt davon, wenn sie einem mit Kirchenliedern den Hals zuschnüren!«, sagte sie schließlich. »Halt mich fest, lass mich nicht los! Es geht schon vorüber.«
     
    Ernessa = Carmilla?
    Vielleicht ist ein Vampir einfach nur jemand, der einen anderen in Besitz nehmen will, um das eigene Bild nicht im Spiegel, sondern im Gesicht eines anderen Menschen zu sehen.
Nachtruhe
    Etwas Entsetzliches ist passiert. Ich habe eine Stunde gebraucht, bis ich mich soweit beruhigt hatte, dass ich darüber schreiben konnte. Ich konnte den Stift nicht halten, weil meine Hand derart zitterte. Heute Abend kam ich nach dem Baden in mein Zimmer, und da saß Charley am Schreibtisch und las mein Tagebuch.
    »Du schreibst ganz schön krankes Zeug«, sagte sie.
    Ich riss ihr das Tagebuch weg.
    »Jetzt dreh nicht gleich durch«, sagte sie. »Ich bin nur reingekommen und wollte hier auf dich warten, das Buch hat offen dagelegen. Ich konnte gar nicht anders, als es zu lesen.«
    »Es ist privat«, entgegnete ich. »Du solltest keine Privatsachen lesen.«
    »Dann solltest du sie nicht offen rumliegen lassen. Ich glaube nicht, dass Ernessa gefallen würde, was du über sie schreibst. Was soll das ganze Theater? Schließlich habe ich keine dunklen Geheimnisse über dich herausgefunden, du bist ja nicht Dope-abhängig oder so was.«
    Sie hat Recht. Ich hätte niemals so achtlos sein dürfen.
    »Nein«, sagte ich betont ruhig, »so etwas Interessantes steht auch nicht drin. Es sind Notizen für mein Englisch-Referat über Vampire. Geschöpfe, die aus dem Reich der Toten zurückkehren und jungen Mädchen das Leben aussaugen.«
    Charley fing an zu lachen, ich hatte es geschafft, das Ganze wie einen Witz aussehen zu lassen. Als ich sie schließlich aus dem Zimmer hatte, machte ich die Tür zu und setzte mich, das Tagebuch fest an mich gedrückt, auf die Bettkante. Ich fühlte mich erst sicher, als sie gegangen war. Von jetzt an werde ich es verstecken. Immer. Was, wenn jemand anders es fände.
    Ich habe so viel Zeit mit diesem Tagebuch verbracht, jeden Eintrag sorgfältig gestaltet, damit er richtig klingt. Ich muss mir immer wieder klarmachen, dass es nicht zerstört ist, nur weil Charley ein paar Zeilen gelesen hat. Sie hatte keine Ahnung, was sie da las.
9. November
    Sein letzter Tag auf Erden.
10. November
    Ich habe wenig geschrieben. Wem beichte ich das? Sicher, ich habe meinen Entschluss, jeden Tag zu schreiben, nicht durchgehalten, aber das ist mir egal. Auch sonst habe ich nicht viel gemacht. Ich war beinahe zu traurig zum Leben. Morgens kam ich kaum aus dem Bett und dachte den ganzen Tag nur daran, wieder ins Bett zu kriechen und mir die Decke über den Kopf zu ziehen. Gestern Abend kam Sofia in mein Zimmer, und wir zündeten Kerzen an und saßen im Halbdunkeln, ohne etwas zu sagen. Ich weiß nicht, was ich ohne sie getan hätte. Als ich anfing zu weinen, legte sie den Arm um mich und weinte mit. Ich war froh, dass sie auch weinte.
    Meine Mutter hat nicht angerufen. Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Was hätte sie schon sagen können, damit wir uns beide weniger verlassen vorkommen?
    Ich bringe die Worte nicht heraus. Sie stecken wie eine Gräte in meiner Kehle. Letztes Jahr war ich mal mit einer Truppe Mädchen nach der Schule im Drugstore, um Pommes zu essen. Wir rissen Witze, redeten

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