Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
Vom Netzwerk:
Himmel und die Wolkenfetzen wider, die über ihn hinwegzogen. Ich suchte nach einem Gesicht hinter dem Himmel, das nach mir suchte.
    Wie soll ich jemals wieder mit Lucy sprechen? Ich wäre froh, wenn ich sie nie wieder sehen müsste.
Ruhezeit
    Ich glaube, ich habe mich noch nie so erschreckt.
    Sie holten mich aus dem Matheunterricht. Ich geriet sofort in Panik. Meiner Mutter musste etwas Furchtbares zugestoßen sein. Als ich meine Bücher zusammenpackte und aus dem Klassenzimmer ging, dachte ich dauernd: »Wie kannst du mir das antun? Wie kannst du mir das antun?«
    Aber es ging gar nicht um meine Mutter. Mrs. Halton erklärte mir, ein Kriminalbeamter wolle sich mit mir über Dora unterhalten. Ich hatte sie schon ganz vergessen.
    »Kein Grund, nervös zu sein. Der Herr möchte dir nur ein paar Fragen stellen. Ich bleibe die ganze Zeit dabei.«
    Doch die Art, wie sie es sagte, dass sie mit mir wie mit einem kleinen Kind sprach, das man zu etwas Unangenehmem überreden will, machte mir Angst. Sie war so selbstzufrieden. Sie lächelte die ganze Zeit, als sie mich durch den Übergang in die Residenz und in die Bibliothek im ersten Stock führte.
    Der Beamte wartete auf mich. Er trug keine Polizeiuniform, sondern einen normalen Anzug wie ein Versicherungsvertreter oder ein Geschäftsmann. Sein Mantel hing ordentlich über einem Stuhl, die Aktentasche lag offen auf dem Tisch. Er stellte mir viele Fragen und machte sich dabei Notizen auf einem gelben Block. Noch nie hatte mich jemand so befragt.
    »Es dauert nicht lange«, begann er. »Ich will dir nur einige Fragen stellen. Eine deiner Klassenkameradinnen hat gesagt, dass du und das Mädchen, das heute Morgen in den Hof gestürzt ist, über die Dachrinnen gekrochen seien. Sie sagte, sie habe dich vor ihrem Fenster gesehen.«
    »Das haben wir alle getan«, antwortete ich. Ich hörte Mrs. Halton keuchen, das war für den Beamten gedacht. »In diesem Herbst habe ich es nur einmal gemacht. Glaube ich.«
    »Wann war das?«
    »Vor ungefähr einer Woche. Vielleicht ist es auch etwas länger her.«
    »Und wo genau warst du?«
    »Ich bin aus Doras Fenster gestiegen. Ich bin nur bis zum nächsten Fenster gegangen.«
    »Und dann?«
    »Habe ich umgedreht. Es war zu kalt.«
    »War Dora damals auch draußen auf der Dachrinne?«
    »Nur ganz kurz. Sie hörte jemanden im Flur und kam raus, um mich zu holen.«
    »Und letzte Nacht? Warst du mit Dora zusammen?«
    »Nach dem Lichtausschalten bin ich ins Bett gegangen. Ich bin erst aufgewacht, als ich die Sirenen in der Auffahrt hörte. Ich hatte Dora gesagt, dass ich nicht mehr über die Dachrinne laufen wollte.«
    »Was hatte Dora wohl vor?«
    »Vermutlich wollte sie zu Carol. Oder zu Claire, die wohnt an der Ecke.«
    »Du meinst also nicht, sie wollte ins Zimmer nebenan? Wie heißt das Mädchen doch gleich? Ich habe vorhin mit ihr gesprochen.«
    »Ernessa?«
    »Genau, wollte sie in Ernessas Zimmer?«
    »Ganz sicher nicht. Sie waren nicht befreundet.«
    »Manchmal entwickeln Mädchen in diesem Alter sehr starke … Gefühle … füreinander, gute und schlechte Gefühle. Da können Dinge wichtiger erscheinen, als sie eigentlich sind. Hat sie jemals erwähnt, dass sie unglücklich sei oder sich umbringen wolle? Auch wenn es sich wie ein Scherz anhörte?«
    »Nein. Niemals.«
    Ich beantwortete alle Fragen, und er ließ mich gehen. Ich sagte immer das Richtige, er hat mir wohl geglaubt. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich in meinem Zimmer. Ich machte Französisch und Sport blau. Mir war alles egal. Ich kann immer noch sagen, ich sei zu durcheinander gewesen wegen Dora. Ich würde gern auch das Abendessen ausfallen lassen, aber das geht nicht. Dann merkt Ernessa, wie durcheinander ich bin. Sie hat die Polizei zu mir geschickt. Als der Polizist mich befragte, schämte ich mich für jeden schlimmen Gedanken, den ich je gehabt habe. Ich sagte mir immer wieder, dass die Tatsache, dass ich Dora nicht immer gemocht und mir manchmal gewünscht hatte, ich wäre ihr nie begegnet und müsste sie nie wieder sehen, noch lange nicht bedeutet, dass ich ihr den Tod gewünscht hätte.
18. Dezember
    Zu Hause. Fürs Erste sicher. Im Auto geriet ich in Panik, weil ich glaubte, ich hätte mein Tagebuch in meinem Zimmer gelassen, wo es jeder finden kann, aber es steckte in meiner Büchertasche. Meine Mutter holte mich ab, zur Abwechslung sogar mal pünktlich. Wenn es wirklich sein muss, ist sie da. Sie spürt, wenn ich sie brauche. Ich konnte nicht in der Schule

Weitere Kostenlose Bücher