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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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Ich war müde und wollte früh schlafen gehen. Ich wollte, dass sie geht, aber sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurde es in allen Zimmern ganz still. Ein Wind pfeift durch die leeren Räume. Ich wünschte, Milou wäre noch hier, läge neben mir auf dem Kopfkissen, schnurrte sanft und maunzte leise, damit ich weiß, dass er glücklich ist. Ich bin ganz allein.
    Ernessa ist ein Vampir.
    Erst heute Abend kann ich diese Worte aufschreiben. Ich konnte meine Befürchtungen bislang nicht bewusst formulieren. Sie will, dass ich, und nur ich, es erkenne. Ihre Hand führt meine, während ich diese Worte schreibe.
25. Dezember
    Hätte ich nur die Gelegenheit gehabt, Doras Leiche zu sehen. Ihre Eltern waren in Paris, sie wurde sofort eingeäschert. Sie wollten nicht mal ihre Leiche sehen. Ich wünschte, ich hätte sie gesehen. Ich hätte ihren Körper auf Zeichen untersucht. Einmal an der linken Brust nahe beim Herzen oder zwischen den Augen. Dort müsste es sein. Die Haut wäre kaum verletzt, es sähe aus wie ein blauer Fleck. Aber sie wollen nur die eine Todesart.
    Was werden sie mit ihrem unvollendeten Roman tun, dem Dialog zwischen Nietzsche und Brahms? Vermutlich taugt er sowieso nichts. Dennoch ist es schade, die ganzen Seiten voller Wörter werden verschwinden, ohne dass jemand sie gelesen hat. Irgendjemand muss sie lesen. Ich weiß, ihre Eltern werden es nicht tun. Ihr Vater war immer so kritisch mit ihr.
    Vielleicht sollte ich ihr Buch lesen.
    Sicher war Dora manchmal nett zu mir, aber ich konnte ihre Belehrungen nicht ertragen. Ich habe ihr nie verziehen, dass sie mich so abgetan hat. Ich war nur ihre Freundin, weil sie sich für Ernessa interessierte. Und sie interessierte sich nur für Ernessa, weil Ernessa so mit ihr umging, wie Dora mit allen anderen umging. Dora konnte einfach nicht anders. Ihre Eitelkeit war verletzt.
    Warum schreibe ich so gemeine Sachen über jemanden, der gerade gestorben ist?
    Ihr Buch würde mich vergiften.
     
    Eine Fliege summte – als ich starb –
    Im Raum die Stille schwoll
    So wie die Stille in der Luft
    Wenn ein Sturm Atem holt –
     
    Die Augen rings – schon ausgepresst –
    Der Puls harrte gefasst
    Des letzten Akts – da Er im Raum
    Sich Fürstlich – offenbart –
     
    Andenken hatte ich – vermacht
    Und von mir überschrieben
    Was übertragbar war – da schob
    die Fliege sich dazwischen
     
    Mit Blauem – taumelndem Gebrumm –
    Zwischen das Licht – und mich –
    Die Fenster schwanden mir – und dann
    Verlor mein Sehn die Sicht –
     
    Emily hätte verstanden, was sich zwischen Dora und ihren Tod schob, aber ich verstehe es nicht.
27. Dezember
    Gestern Abend habe ich ein paar interessante Dinge erfahren, als ich in den Büchern meines Vaters blätterte. Ich wusste, dass ich dort etwas finden würde. Ein Mensch kann auf unterschiedliche Weise zum Vampir oder Wiedergänger (von französisch revenant) werden: (a) ein schlechter Mensch begeht unter gewissen Umständen Selbstmord (Was ist ein schlechter Mensch? Welche gewissen Umstände?); (b) ein Vampir besucht jemanden im Schlaf; (c) eine Fledermaus fliegt über eine Leiche, eine Katze oder ein Hund springt über eine Leiche, ein Mensch beugt sich über eine Leiche; (d) ein Mensch stirbt unbemerkt; (e) einem Menschen wird zu Lebzeiten der Schatten gestohlen; (f) der Mund einer Leiche steht offen; (g) ein Mensch stirbt eines gewaltsamen Todes; (h) eine Leiche wird unbewacht gelassen, nicht ordentlich bestattet oder nicht tief genug begraben; (i) ein Vampir beißt jemanden; obwohl das Opfer manchmal stirbt, ohne selbst ein Vampir zu werden.
    Das mit dem offenen Mund finde ich unfair. Es ist unfair, jemanden (oder dessen Seele) für etwas zu bestrafen, das passiert, nachdem der Mensch die Kontrolle über seinen Körper verloren hat. Ich musste lachen, als ich von Menschen las, die mit zwei Herzen geboren werden, von denen eines nur nach der Zerstörung der Menschheit strebt.
    Mein Vater wollte unbemerkt sterben wie ein Tier, das wegläuft und sich irgendwo zum Sterben zusammenrollt. Milou brauchte sich nicht vor uns zu verstecken. Er schämte sich nicht, dass er starb. Es muss einen letzten Atemzug geben, wie das letzte bisschen Luft, das man aus einem Schlauchboot quetscht, das letzte Keuchen des Sturms, dann gibt der lebendige Körper auf, und die unsterbliche Seele wird befreit. Vielleicht braucht man dabei einen Zeugen.
31. Dezember
    Ich glaube, ich habe meine Mutter überredet, mich zu Hau se zu

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