Die Sehnsucht der Falter
Ich bin ganz anders als Carol mit ihren dunkelblonden Naturlocken und der Himmelfahrtsnase. Ich nahm an, die Jungen wären so erwachsen wie Linda, und war schon Wochen vor dem Ball ganz aufgeregt. Ich kaufte mit Lucy in einem schicken Laden ein grünes Seidenkleid mit großen rosa und gelben Blumen. Es war mein erstes langes Kleid. Die Jungen kamen übers Wochenende, und wir holten sie vom Bahnhof ab. Meiner hatte ein fettiges, rotes Pickelgesicht. Ich konnte seinen Anblick kaum ertragen. Und hatte ihm absolut nichts zu sagen. Wir gingen vom Bahnhof zum Hotel, das ungefähr eine Meile entfernt lag, und er trug seinen Koffer auf dem Kopf wie eine Afrikanerin ihren Früchtekorb. Carol und ich schauten uns heimlich an und schnitten Grimassen. Als die Jungen die Koffer nach oben brachten, prusteten wir los. Das war unsere Rettung, sonst hätten wir bei dem Gedanken, zwei Tage mit ihnen zu verbringen, geweint.
Nachdem ich in der neunten Klasse auf die Schule gekommen war, wartete ich aufgeregt auf den ersten Tanztee mit der Schule aus Pottersville. Da interessierte ich mich noch für Jungen. Ich trug ein blau kariertes Kleid, das mir meine Mutter bei Saks gekauft hatte. Damals hatte ich es nicht gewollt, weil ich so wütend war, dass sie mich auf diese Schule schickte. Doch an diesem Abend war ich froh, dass ich es hatte. Ich stand da in der Gruppe der Neuntklässlerinnen und wartete ungeduldig auf den Bus mit den Jungen. Endlich marschierten sie in den Speisesaal und reihten sich an der gegenüberliegenden Wand auf, sodass wir einander über die weite Fläche hinweg betrachten konnten, während die Namen aufgerufen wurden. Die Jungen und Mädchen betraten allein das Niemandsland und verließen den Raum als Paare, die nach Größe zusammengestellt worden waren. Man scheint es für wichtig zu halten, dass wir uns beim Tanzen in die Augen schauen können. Es gilt die unausgesprochene Regel, dass man eine halbe Stunde mit seinem ersten Partner zusammenbleibt. Danach ist man frei. Ich hörte meinen Namen, dann den eines Jungen. Matthew Soundso. Als ich in die Mitte ging, hörte ich ein Murmeln, alle Mädchen sahen mich an. Matthew war älter, mindestens im ersten Collegejahr, und sah ziemlich gut aus. Ich hatte keine Ahnung, warum alle so hämisch guckten, bis mir Charley ins Ohr flüsterte: »Pass auf, das ist Jill Ackleys Freund.«
Obwohl ich erst zwei Wochen in der Schule war, kannte ich Jill Ackley. Sie war eine ältere Schülerin mit blondierten Haaren und großen Brüsten, ungefähr das, was ich mir unter einer blonden Sexbombe vorstellte. Ich sah mich nach ihr um, konnte sie aber nicht entdecken. Darum hatte ich heute Abend auch ihren Freund abgekriegt. Beim ersten Tanz konnte ich mein Glück kaum fassen. Im Vergleich zu mir hatten alle anderen Mädchen aus meiner Klasse Babys erwischt.
Sie schauten mich an, als hätte ich etwas Furchtbares getan, doch das war mir egal.
Matthew tanzte den ganzen Abend mit mir. Wir tranken rosa Punsch und aßen Plätzchen. Und obwohl er eine Freundin hatte, ging er mit mir auf die schattige Veranda, wo sich Pärchen unter den missbilligenden Blicken der Anstandsdamen küssten. Dann küsste er mich auch.
Ich weiß nicht, ob ich so aufgeregt war, weil mein erster Tanztee so toll lief oder begriff, dass er mich vergessen würde, sobald seine Freundin auftauchte. Jedenfalls beugte ich mich vor, als er mich geküsst hatte und mich noch festhielt, und biss ihn in die Wange, knapp unter dem Auge. Sein Fleisch war fest. Meine Zähne verletzten nicht die Haut, sie hinterließen nur einen roten Striemen und Bissspuren. Überrascht wich er zurück.
»Hey, was soll das?«
Ich war so verlegen, dass ich kein Wort herausbrachte. Ich wollte weglaufen. »Ich weiß nicht. Ehrlich nicht.«
Ich weiß wirklich nicht, warum ich es getan habe.
Als ich klein war, lief ich mal zu meiner Mutter, die gerade auf dem Sofa saß, und grub meine Zähne in ihren Oberschenkel. Ich biss so fest zu, dass es blutete. Der blaue Fleck war monatelang zu sehen. Ich hob lachend den Kopf und sah entsetzt die Tränen auf den Wangen meiner Mutter. Ich wollte ihr nicht wehtun, war nur so aufgedreht gewesen, dass ich mich einfach nicht stoppen konnte. Den gleichen Impuls hatte ich bei Matthew verspürt.
Ich bekam nie wieder einen guten Partner beim Tanztee ab. Letztes Jahr bin ich oft hingegangen, war aber immer enttäuscht. Noch schlimmer war es, wenn wir in die Jungenschulen eingeladen wurden, wo die Jungen auf den Bus
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