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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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berühren, abstoßend. Sie quatschen jeden Abend am Telefon. Reden über Jungs, Klamotten und Make-up. Wir Internen sind abends und nachts zusammen. Wir hassen das Telefon. Keine von uns möchte daran erinnert werden, dass sie eine Familie hat. Keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Alle wissen, dass die meisten Sportlehrerinnen und auch viele andere Lehrerinnen lesbisch sind, aber dagegen sagt niemand etwas. Die Tagesschülerinnen schwärmen für die neue Hockey-Lehrerin, die jung und hübsch ist. Dabei wissen alle, dass sie mit einer Frau zusammenlebt. Egal. Ich rede fast nie mit den Tagesschülerinnen. Dora war eine Ausnahme, als sie noch nicht im Internat wohnte. Sie lebte nur dieses Jahr hier bei uns, weil ihr Vater das Sabbatjahr in Paris verbrachte. Sie war anders, nicht dumm und blond. Sie war immer eher wie eine Interne, obwohl sie nicht der Typ Mädchen war, mit dem man gerne Arm in Arm gegangen wäre. Sie war kalt und steif. Die wenigen Male, bei denen wir Arm in Arm gingen, fühlte ich mich unbehaglich und verlegen.
    Ich versuche, nicht an Dora zu denken.
    Man merkt, wenn zwischen zwei hässlichen, übergewichtigen Mädchen etwas läuft. Zum Glück sind meine Freundinnen alle hübsch – vermutlich mag ich Claire deswegen nicht.
    Gestern Abend nach dem Baden lag ich auf Lucys Bett. Wir waren beide am Lesen. Ich hatte den Arm um sie gelegt, ihr Kopf lag an meiner Schulter. Ich spielte mit ihren Haaren.
    Immerhin klopfte sie diesmal an, bevor sie reinkam.
    Ich las ungerührt weiter. Aber Lucy war schon vom Bett gesprungen und zur Tür gegangen. Ernessa interessierte sich gar nicht für sie. Sie schaute unmittelbar zu mir, wie ich auf Lucys Bett lag, im Nachthemd, ein Buch auf der Brust. Es machte mir Angst. Lucy wollte nach ihrem Arm greifen, doch Ernessa war wortlos gegangen, und die Tür fiel zu, bevor Lucy sie berühren konnte.
    Danach sahen wir uns verlegen an.
    Charley hat mal versehentlich Ernessas Hand berührt, als sie ihr eine Zigarette gab. Ernessa wich zurück.
    »Was ist los?«, fragte Charley. »Ich bin keine Lesbe.«
    »Ihre Hand war kalt«, erzählte mir Charley später.
    »Total kalt. Sie macht mir Angst. Von mir schnorrt die keine Zigarette mehr.«
    Ich merkte, Charley war wirklich wütend. Sie wusste, dass manche sie für eine Lesbe hielten, weil sie so drahtig und jungenhaft aussah.
    Ernessa kann uns nicht verstehen.
    Es ging nicht nur um Lucy und mich. Auf mich ist sie wütend. Ich wollte mir an dem Abend ihre Geschichte nicht anhören. Ich bin weggerannt. Ich wollte nicht zuhören.
21. Januar
    In dieser Schule gibt es Orte, an denen ich mich langsam unsicher fühle, an denen ich früher immer allein war. Rational betrachtet hat sie keinen Grund, dort zu sein. Doch sie hat ihre eigenen Gründe.
    Ich stand im dritten Stock vor Miss Norris’ Wohnung und wollte gerade zum Griechisch-Unterricht. Sie war genau hinter mir. Tauchte einfach so auf.
    »Ich habe überlegt, ob ich wieder mit Griechisch anfangen soll«, sagte sie. »Aber die Situation passte nicht.«
    Ich hatte keine Ahnung, wie sie das meinte, doch ihr Tonfall klang alles andere als nett.
    »Ich habe früher Griechisch und Latein gelernt. Ich wollte Altphilologie studieren. Schon als kleines Mädchen war ich sehr ernsthaft. Aber dann – kam etwas dazwischen.«
    Ich glaube ihr kein Wort.
    »Ich weiß nicht, ob du mitten im Schuljahr anfangen kannst. Frage doch Miss –«
    »Nein, dafür ist es zu spät. Ist dir klar, dass Doras Tod mich in große Schwierigkeiten gebracht hat? Er kam sehr ungelegen. Ich musste lange Diskussionen mit der Direktorin und der Psychologin und der Polizei fuhren. Sie wollten wissen, warum sie genau unter meinem Fenster gestürzt ist, aber ich wusste nichts darüber.«
    »Dich hat es in große Schwierigkeiten gebracht? Was ist denn mit den Schwierigkeiten, in die du mich gebracht hast? Du hast mich verraten. Hast die Polizei zu mir geschickt.«
    »Sie haben mich gefragt, ob ich schon mal jemanden da draußen gesehen hätte. Ich sagte, du und Dora wärt gern über die Dachrinne gegangen. Das war nicht gelogen.«
    »Dora wollte vermutlich zu Carol. Wir haben das seit Jahren gemacht«, sagte ich gewollt beiläufig.
    »Durch den Flur geht es schneller«, sagte sie. »Über die Dachrinne würde ich nie gehen. Das ist viel zu gefährlich. Sieh dir an, was mit Dora passiert ist.«
    »Es war ein Unfall. Das wissen alle.«
    Miss Norris’ Wohnungstür ging auf, und sie steckte den Kopf mit dem feinen weißen

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