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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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gereift, und es grämte ihn zu wissen, dass er nicht da gewesen war, um die schlechten Geister zu vertreiben, die ihr Lachen gestohlen hatten.
    Er hatte sie im Stich gelassen – obwohl er geschworen hatte, es sei nur so lange, wie es eben dauern würde, für die Zukunft Chinas zu kämpfen und für die Ideale, die seine Seele umschlangen wie ein zu enger Kragen. Er hatte sich selbst verleugnet. Hatte sie verleugnet. Der Kommunismus hatte ihm alles abverlangt, und er hatte alles gegeben.
    Doch jetzt … jetzt war alles anders.
    »Ich habe dich vermisst.«
    Sie hauchte die Worte fast, so leise waren sie. Er atmete sie tief ein. Ließ sie nicht mehr hinaus.
    »Ich habe dich auch vermisst, Lydia. Wie ein Adler seine Flügel vermisst.«
    Sie lächelte nicht, während sie durch den Saal schwebten. Anscheinend verschenkte sie ihr Lächeln nicht mehr so freigiebig wie in China, doch sie ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.
    »Lydia, mein Liebes.«
    Er spürte, wie sie zitterte. Sah den Pulsschlag unterhalb ihres zarten Kinns.
    »Lydia, ich werde rund um die Uhr überwacht. Die sowjetischen Wölfe umkreisen unsere Delegation Tag und Nacht, wohin wir auch gehen, und es ist genau geregelt, mit wem wir sprechen und was wir zu sehen bekommen. Sie möchten nicht, dass unsere Delegation kontaminiert wird.« Ohne dass es jemand bemerken konnte, streifte er mit dem Daumen einen ihrer Finger. Ihre Augen flackerten unter den halb geschlossenen Augen. »Wenn wir zusammen gesehen werden, wird man dich festnehmen, dich zum Verhör in die Lubjanka bringen und dich nicht mehr freilassen.«
    Zum ersten Mal, seit sie miteinander tanzten, lächelte sie ihn an. Er hätte so gern ihr Gesicht berührt, ihre Haut gespürt.
    »Mach dir keine Gedanken, mein Schatz«, flüsterte sie. »Ich weiß, was du mir sagen willst. Ich werde dich nicht in Gefahr bringen.«
    »Nein, Lydia. Du sollst dich selbst nicht in Gefahr bringen.«
    »Jetzt fühle ich mich sicher. Schau.« Einen Moment lang warf sie den Kopf in den Nacken vor Vergnügen, wie eine Katze, wenn man sie an der Kehle krault, und ihr Haar schwang frei und wild um ihren Kopf. »Hier mit dir.«
    »Wir müssen damit aufhören, mein Liebes«, sagte er zu ihr.
    »Ich weiß.«
    »Man beobachtet uns.«
    »Ich weiß.«
    »Schau in eine andere Richtung.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Dann muss ich es tun.«
    »Tu’s nicht.« Sie pustete ihm ganz zart ins Gesicht, eine Geste, die intimer war als ein Kuss. »Noch nicht.«
    Schweigen einte sie, während sie weitertanzten. Mit seltsam unvertrauten Bewegungen führte er sie übers Parkett, drehte sich wieder und wieder mit ihr, so wie er es bei den anderen gesehen hatte, damit alle anderen Blicke außer dem seinen nicht zu lange auf ihrem Gesicht ruhen konnten.
    »Wo bist du?«, murmelte er.
    »In deinen Armen.«
    Seine Augen lachten, obwohl er seinen Mund unter Kontrolle hatte.
    »Ich meinte, wo du wohnst.«
    »Ich weiß.«
    Er lächelte. Es war undenkbar, sie irgendwann loszulassen. Unerträglich. »Deine Adresse?«
    »Einheit 14, Uliza Sidorowa 128. Im Sokolniki-Viertel.« Sie hob eine Augenbraue. »In der Nähe einer Reifenfabrik.«
    »Das klingt …«
    »Einladend?«
    »Ja.«
    »Und du? Wo wohnst du?«
    »Im Hotel Triumfal.«
    Ihre Lippen öffneten sich und gaben den Blick auf ihre kleine rosa Zungenspitze und die starken weißen Zähne frei. Er gab vor zu stolpern, trat ihr auf den Fuß, nahm die Hände von ihr weg und verbeugte sich.
    »Bitte vielmals um Entschuldigung. Ich bin nicht sehr gut in euren Tänzen. Schlage vor, wir kehren zu unseren Genossen zurück.«
    Sie sagte nichts. Lächelte höflich. Doch er sah, wie sie schluckte, sah, wie schwer es ihr fiel. Während er sie an den Tisch zurückbegleitete, wo die Russen und Kuan warteten, konnte er ihren Atem hören. Und spürte, wie er ihm die Luft aus den Lungen sog.

EINUNDDREISSIG

    I n dem Hotel war es stickig und heiß. Alexej lag ausgestreckt auf einem schmalen Bett, die Decke hatte er abgeworfen. Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte, mit den letzten Kopeken, die er besaß, ein Bett für die Nacht ergattert zu haben, ganz gleich, wie schäbig die Unterkunft war, oder ob er sich darüber ärgern sollte, dass das Wasser in den Leitungen, die an seinem Bett vorbeiliefen, laut rauschte und das Gemäuer kochend heiß machte. Und dann waren da auch noch die Flöhe, Tausende von diesen Scheißviechern. Wie konnten so winzige Tierchen bloß beißen, als wären sie so groß wie Ratten?

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