Die Sehnsucht der Konkubine
in Moskau zu sein. Es schenkt uns allen Hoffnung, wenn wir sehen, welch beeindruckende Fortschritte der Kommunismus in dem großartigen Land unserer Genossen gemacht hat.«
»Es würde mich sehr stolz machen, euch unsere Stadt zu zeigen«, sagte das Wolfsauge so aalglatt, als hätte er Öl auf der Zunge.
Kuan nickte. » Spassibo , Genosse, towarischtsch. Ich würde sehr gerne einige der neuen kommunalen Wohnungen besichtigen.«
»Und die industriellen und technologischen Entwicklungen«, fügte Chang hinzu. »Vielleicht bei einer Führung durch einige der neuen Fabriken?«
»Natürlich. Ich glaube, das wurde bereits in die Wege geleitet.«
»Uns allen wäre es auch eine große Ehre, Lenins Mausoleum auf dem Roten Platz zu besuchen und den größten Mann der Geschichte zu sehen, einen Mann, dessen Ideen die ganze Welt verändern werden.«
»Es wäre mir eine große Freude …«
»Genosse Chang«, unterbrach Lydia das Gespräch und zwang ihn damit, sie wieder anzuschauen. Ihre lohfarbenen Augen schimmerten heller als das Sonnenlicht, als sie fragte: »Würdest du mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen?«
Die Brust wurde ihm eng. Was hatte sie vor – mit dem Feuer zu spielen? Die beiden Russen starrten sie überrascht an, aber sie achtete nicht auf sie und lächelte Chang auf eine Weise zu, bei der er jegliche Vorsicht sausen ließ.
»Bitte untertänigst um Entschuldigung«, sagte er, »aber ich besitze keinerlei Erfahrung mit euren Tänzen.«
»Dann werde ich sie dir beibringen. Es ist nicht schwer.«
Er verbeugte sich. »Da es unsere Absicht ist, in Russland so viel wie möglich über eure Bräuche zu erfahren, danke ich dir und nehme das Angebot mit Freuden an.« Die Worte waren ihm herausgerutscht, bevor er sich zügeln konnte.
Neben ihm zog Kuan die Stirn in Falten und wollte schon den Mund öffnen, um etwas zu sagen, doch ein Blick von ihm genügte, um sie zum Schweigen zu bringen. Er flüsterte Hu Biao etwas zu, der kurz nickte. Sein junger Assistent würde in der Nähe bleiben und beobachten, wer mit wem redete.
Lydia wandte sich mit einer entschlossenen Drehung ab und ging in Richtung Tanzfläche. Chang folgte ihr.
Ihr Haar roch nach Tabak. Als hätten zu viele Männer daraufgeatmet. Chang spürte einen Anflug von Eifersucht. Die anderen Männer in dem Saal starrten sie an, und nicht nur deshalb, weil sie ungeschriebene Gesetze brach, indem sie mit einem Chinesen tanzte. Er spürte diese Blicke, während sie davon völlig unberührt wirkte, denn weder zog sie einen Schmollmund, noch warf sie den Kopf in den Nacken, wie es Frauen so oft taten, wenn sie die Bewunderung von Männern spürten. Lydia war in ihrem grünen Rock und der schlichten weißen Bluse einfach nur sie selbst.
Leicht wie eine Feder schwebte sie dahin und passte sich mühelos seinen etwas unbeholfenen Schritten an. Keiner von ihnen sprach. Wenn er damit begonnen hätte, wären seine Worte nicht mehr versiegt. Aber er ließ sich Zeit, sie anzuschauen, in jedem einzelnen kostbaren Teil ihres Gesichts zu schwelgen. Sein Blick wanderte über das zarte Gleichmaß ihrer Gesichtsknochen hinweg, über die sanft geschwungenen Brauen, die vollen Lippen. Die Nase, die für den chinesischen Geschmack zu lang war, und das viel zu breite Kinn. Eine winzige Narbe an ihrem Kiefer war neu, ebenso wie die tiefen Höhlen, die unter ihren Wangenknochen lagen.
All diese Dinge sog er förmlich in sich auf, um sie mit denen zu vereinen, die bereits in seinem Inneren lebten und atmeten. Ihr Haar – das er in seinen Träumen wohl tausend Mal berührt hatte – war gewachsen, und er erlaubte es seinen Fingern, über seine leuchtend roten Spitzen zu streicheln, während seine Hand auf ihrem Rücken lag. Eine kleine Wunde auf der bleichen Haut ihrer Hand, die wie ein Vögelchen in seiner Hand lag, war noch nicht ganz verheilt. Dennoch war sie immer noch sein Fuchsmädchen, seine Lydia.
Aber es gab auch Dinge an ihr, die sich geändert hatten. In ihren Augen. Der Verlust ihrer Mutter, ihrer Heimat, vielleicht auch das Getrenntsein von ihm, waren nicht ohne Folgen geblieben. Da lag eine Traurigkeit tief in ihren Augen, die vorher nicht da gewesen war und die er am liebsten weggeküsst hätte. Sie bewegte sich auch anders, mehr aus den Hüften heraus wie eine junge Frau, nicht mehr wie ein Mädchen. Sie war erwachsen geworden. Während sie voneinander getrennt gewesen waren, war dieses Fuchsmädchen auf einer tieferen Ebene, als er erwartet hätte,
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