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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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ihren Pelzmantel.«
    »Dann bewundere etwas anderes.«
    Lydia riss die Augen von dem langen, dunklen Haar der Frau los, von der Art, wie es sanft gelockt auf ihren Kragen fiel und wie eine glänzende Vogelschwinge ihre Wange streifte, wenn sie den Kopf bewegte. Genau wie Valentina. Galle stieg bitter in Lydias Kehle auf.
    »Von hinten ist die Ähnlichkeit verblüffend«, murmelte Alexej. Sein Atem stand in einer bauschigen Dunstwolke in der kalten Luft.
    »Ähnlichkeit mit wem?«
    Alexej warf Lydia einen langen Blick zu, ohne zu blinzeln, und ließ dann das Thema fallen. Er paffte an seinem Stumpen und schaute blitzschnell zu den beiden Uniformierten hinüber.
    »Die wissen, dass der Zug kommt, sonst stünden sie nicht hier.«
    »Glaubst du?«
    »Keine Frage. Heute kommt er.«
    »Ich hoffe, Popkow beeilt sich. Ich will ihn nicht zurücklassen.«
    Noch während sie die Worte aussprach, wusste sie, dass es ein Fehler war. Alexej warf ihr einen Blick zu, sagte jedoch nichts. Sie wusste, dass ihm nichts lieber gewesen wäre, als Liew Popkow in Seljansk zurückzulassen. Er sah noch einmal zu der Frau hinüber. »Ich frage mich, wer das ist«, sagte er leise. »Sie fällt auf wie ein bunter Hund.«
    Lydia gestattete sich einen weiteren, diesmal längeren Blick, der auf dem silbrigen Pelzmantel der Frau verweilte. Sie bemerkte den schicken, dazu passenden Hut, der in einem frechen Winkel auf dem Kopf saß, die blassgrauen Fellstiefelchen so weich wie Katzenpfoten und den cremefarbenen Kaschmirschal, der am Hals aus dem Mantel herausblitzte. Die Frau sah so aus, als wäre sie gerade versehentlich vom Newski-Prospekt in Leningrad angekommen und auf einem Bauernhof gelandet.
    »Sie heißt Antonina«, sagte Lydia leise.
    Alexej sah Lydia überrascht an. »Woher, zum Teufel, weißt du das?«
    »Man hört so manches.«
    »Und wo genau hast du das gehört?«
    »Sie hat es mir selbst gesagt.«
    »Wann?«
    »Vorgestern Nacht. Im Waschraum des Hotels.«
    Alexej trat seinen Stumpen unter dem Stiefelabsatz aus und holte tief Luft. Lydia sah, dass er angestrengt nachdachte und herauszufinden suchte, welchen Schaden seine Schwester angerichtet haben mochte. Sie berührte ihn am Ärmel.
    »Ist schon gut, Bruder. Ist nichts passiert. Ich hab ihr nichts erzählt.«
    »Und was hast du sonst noch über die Frau erfahren?«
    Lydia ließ den Blick wieder zu der schwarzen Haarmähne und dem hochmütig gereckten Kinn schweifen.
    »Sie ist die Frau des Kommandanten.«
    Alexej betrachtete sie genauer. Die Frau des Lagerkommandanten. Das war hochinteressant. Kein Wunder, dass die Uniformierten sich immer in ihrer Nähe hielten.
    Plötzlich und unvernünftigerweise durchflutete ihn Hoffnung. Er wusste, dass sie vollkommen unangebracht und sogar lächerlich war, doch er sah sich außer Stande, sie zu unterdrücken. Im Sommer hatte er zusammen mit Lydia einen Zug bestiegen, ohne auch nur ein Mal zurückzublicken, und sie hatten sich auf ihrem Weg über die Grenze bis nach Wladiwostok Hunderte von Meilen durchrütteln lassen, um einen Vater zu finden, den keiner von ihnen seit über zwölf Jahren gesehen oder von ihm gehört hatte. Alexej hatte das aus einer ganzen Reihe von Gründen getan, doch eine realistische Aussicht auf Erfolg gehörte gewiss nicht dazu.
    Tief in seinem Herzen war er sich sicher, dass ihre Suche nach Jens Friis zum Scheitern verurteilt war, aber Lydia gegenüber hatte er nie ein Wort darüber verloren. Der Sowjetstaat war wie eine fest geschlossene Faust, die zu öffnen ihnen wohl kaum gelingen konnte, zumal ihr Vater mittlerweile bestimmt längst tot war. Nur die wenigsten konnten in diesen schrecklichen Lagern überleben, in denen so grausame und harte Lebensbedingungen herrschten. Die Zwangsarbeit in den Minen, an den Eisenbahnlinien oder beim Verlegen von neuen Kanälen und Straßen war bei den eisigen Temperaturen, die in Sibirien herrschten, hart. Schlimmer als hart. Das Leben dort draußen war wie ein seidener Faden, der viel zu dünn und zu brüchig war und jederzeit reißen konnte. Die Überlebensrate war verschwindend gering.
    Und trotzdem war Alexej mitgekommen. Warum?
    Nacht für Nacht hatte er während ihrer langen Reise durch Russland wachgelegen, frühmorgens in irgendeinem verwanzten Hotel, hatte in Gemeinschaftsschlafräumen Zigarette um Zigarette geraucht, notgedrungen dem Schnarchen und Furzen anderer Männer gelauscht und einen Plan nach dem anderen durchdacht und wieder verworfen. Eigentlich wusste er, dass es

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