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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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sie mit einem abrupten Tonwechsel. »Ich danke dir für deine Großzügigkeit, aber diese Geschenke kann ich nicht annehmen.« Dennoch war ihre Hand verräterisch genug. Da lag sie, auf den Ausbuchtungen der braunen Papiertüte, und liebkoste sie, so, wie sie manchmal Mistys Ohren streichelte. Sie nahm die Hand weg.
    »Ich versuche, dir zu helfen, Lydia. Bitte vergiss das nicht.«
    »Wenn das so ist, Dmitri, dann sag mir bitte, wo sich das Gefängnis 1908 befindet.«
    »Ach, Lydia, ich würde es ja, wenn ich könnte.«
    »Vielleicht willst du es ja gar nicht wissen.«
    »Vielleicht.«
    Wenn sie ihren Vater finden wollte, dann brauchte sie Malofejew, sie brauchte seine Kenntnisse, seine Kontakte und seine Vertrautheit mit dem Gefängnissystem. Der Gedanke, dass jemand, der über ihm auf der Leiter der sowjetischen Bürokratie stand, ihm auf die Finger schaute, machte sie unruhig.
    »Wer weiß, dass du hier bist?«, fragte sie.
    Die Frage beantwortete er nicht. Stattdessen nippte er mit vornehmer Geistesabwesenheit an seiner Tasse und stellte sie dann wieder ab. Erst danach richtete er erneut seine ganze Aufmerksamkeit auf Lydia, und sie konnte sofort erkennen, dass eine Veränderung in ihm vorgegangen war. Sein Blick war starr und entschlossen und rief ihr ins Gedächtnis, dass er erst kürzlich noch Kommandant eines Gefangenenlagers gewesen war.
    »Lydia, hör mir zu. Sowjetrussland ist immer noch nur ein Kind, das wächst und lernt. Jeden Tag kommen wir unserem Ziel ein wenig näher: nämlich einer gerechten und ausgewogenen Gesellschaft, in der die Gleichheit so selbstverständlich ist, dass es uns erstaunen wird, mit welchen Ungerechtigkeiten noch unsere Väter und Großväter zu kämpfen hatten.«
    Sie reagierte nicht, schaute auch nicht auf. Ihr Pulsschlag raste, während das matter werdende Licht vom Fenster her seinen Haarschopf in Brand zu setzen schien.
    »Und die Gefangenenlager?«, fragte sie. »Wollt ihr so dem heranwachsenden Kind Sowjetrussland Gehorsam beibringen?«
    Er nickte.
    »Durch Angst?«, wollte sie wissen. »Durch Spitzel?«
    »Ja.« Er erhob sich von der Fensterbank, eine ganz langsame, geschmeidige Bewegung, die Lydia dennoch in Alarmzustand versetzte. Irgendwie schien er größer und dunkler, als er langsam vom Fenster auf sie zukam. »Den Menschen Russlands muss beigebracht werden, wie sie sich selbst neu erfinden können.«
    Er kam näher.
    Ihr Herz wummerte. »Jens Friis ist noch nicht einmal Sowjetbürger«, hob sie hervor. »Er ist Däne. Was soll es bringen, ihm beizubringen, sich neu zu erfinden?«
    »Als Beispiel für andere. Es zeigt, dass niemand sich in Sicherheit wiegen kann, wenn er antisowjetischen Aktivitäten nachgeht. Niemand, Lydia. Kein einziger Mensch ist wichtiger als der sowjetische Staat. Nicht ich.« Er hielt inne, und die nächsten Worte klangen plötzlich sehr sanft. »Und du auch nicht.«
    Sie versuchte, ihre Atmung zu beruhigen, doch es gelang ihr nicht. Ganz plötzlich packte er sie an beiden Handgelenken und schüttelte sie. Ohne ein Wort zu sagen, versuchte sie sich loszumachen, doch seine Finger hielten sie mühelos, weshalb sie es wieder aufgab.
    »Lass mich los«, fauchte sie.
    »Du siehst, Lydia«, sagte er ganz ruhig, »wie die Angst die Menschen verändert. Schau dich an, wie dir die Angst ins Gesicht geschrieben ist, ein kleines Löwenmädchen, das mir am liebsten an die Kehle gehen würde. Aber wenn ich dich loslasse, wirst du etwas gelernt haben. Du wirst gelernt haben, zu fürchten, was ich tun könnte – was ich dir antun könnte, deinen Freunden, Jens Friis, ja sogar deinem verfluchten chinesischen Liebhaber –, und das wird dich in Schach halten. Genau so funktioniert Stalins Strafsystem.«
    Er lächelte, ein schiefes Verziehen des Mundes, das keine Drohung beinhaltete, sondern nur eine Warnung. Sie starrte ihm direkt in die grauen Augen. Mit einem behutsamen Nicken lockerte er den Griff um ihre Hände. Sie bewegte sich nicht. Ohne Zögern beugte er sich vor und küsste sie auf den Mund, hart und hungrig. Seine Hand berührte ihre Brust. Sie machte einen Schritt rückwärts, weg von ihm, und er hielt sie nicht davon ab.
    »Angst«, sagte er stattdessen, »ist etwas, bei dem man wissen sollte, wie man es einsetzt. Denk daran, Lydia.« Er neigte neckisch den Kopf, wieder ganz der alte Charmeur. »Ich wollte dir nichts tun. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt.«
    Sie war zu wütend, um zu sprechen. Doch sie ließ ihn keine Sekunde aus den

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