Die Sehnsucht der Konkubine
Augen.
»Du kannst mich gerne ins Gesicht schlagen, wenn dir dann wohler ist«, bot er ihr mit einem munteren Lachen an.
Sie wandte abrupt ihr Gesicht ab, weil sie es nicht mehr ertragen konnte, ihn anzusehen. Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus und machte leise die Tür hinter sich zu. Sie begann zu zittern. Wut raste ihn ihr, heiß und schmerzhaft brannte sie in ihrer Kehle. Sie lief ans Fenster und sah, wie Dmitri Malofejew durch den finsteren Hof davonschritt, mit dem Rücken zu ihr, doch eine Hand zum Gruß erhoben. Er hatte gewusst, dass sie dort stehen und ihm nachschauen würde.
Während er durch den Torbogen schritt und verschwand, legte sie die Stirn an die Fensterscheibe, um die Gedanken, die ihr durch den Kopf rasten, durch die Kälte zum Stillstand zu bringen. Die Wut jedoch nicht. Die brauchte sie. Denn es war nicht die Wut auf Dmitri Malofejew, ihr Zorn galt ihr selbst. Sie stieß ein langes und lautes Stöhnen aus und schlug mit der Stirn gegen die Fensterscheibe, als könnte sie dadurch die Bilder in ihrem Kopf vertreiben. Das Gefühl seiner Lippen. Den würzigen Duft seines Rasierwassers. Den heißen Hauch seines Atems auf ihrem Gesicht. Seine Finger, die sanft auf ihrer Brust lagen.
Woher kam es bloß, dieses trügerische Behagen, das sie empfunden hatte? Sie hasste ihn. Doch was noch schlimmer war, sie hasste sich selbst.
Im Bad war es kalt, so kalt, dass Lydia ihren eigenen Atem in der Luft schweben sah. Eine nackte Glühbirne hing von der Decke wie ein mattgelbes Auge, quer über eine Wand zog sich eine feuchte Stelle, hier und da war der Verputz aufgeplatzt. Lydia war heute gar nicht an der Reihe mit dem Baden, für das es eine strenge Reihenfolge unter den Bewohnern der kommunalka gab, weshalb sie sich einfach auf ihr Handtuch stellte, um keine kalten Füße zu bekommen, und sich komplett auszog.
Ihren Rock. Die Strickjacke. Ihre Bluse. Ihre Unterwäsche. Sie ließ alles zu Boden fallen und stand nackt vor dem Waschbecken. Dabei vermied sie sorgfältig den Blick in den Spiegel, weil sie den Anblick dessen, was sie als Verrat empfand, nicht ertragen konnte. Welche Farbe er hatte. Welche Gestalt er annahm. Und welche Löcher er in das Gesicht eines Menschen meißelte. Sie drehte den Hahn mit dem kalten Wasser auf und begann sich zu waschen.
Nach zehn Minuten war ihre Haut wund, und sie zitterte vor Kälte, doch ihre Hände waren endlich wieder ruhig geworden. Bald begriff sie, dass es nicht auf den äußeren Schmutz ankam, sondern auf den in ihrem Inneren, und wie sie dem zu Leibe rücken sollte, wusste sie nicht.
SIEBENUNDDREISSIG
I m Badezimmer war es warm. Das Hotel Triumfal kümmerte sich gut um seine privilegierten Gäste, und Chang An Lo hörte, wie Biao nach Luft schnappte, als er das Badezimmer betrat und sein Blick auf die goldenen Wasserhähne, die blitzenden Armaturen und marmornen Waschbecken fiel. Biaos eigene Unterbringung in dem Hotel, unten im zweiten Stock, fiel etwas bescheidener aus, ein kleiner Raum über der lauten Hotelbar. Chang schloss die Tür hinter ihnen und drehte die beiden Hähne am Waschbecken sowie an der Badewanne auf. Wasser fiel platschend in die Becken und gurgelte in den Abflüssen, so dass der kleine Raum schnell von lautem Plätschern und Rauschen erfüllt war.
»Nun, mein Freund, lass uns reden«, sagte Chang mit bewusst gedämpfter Stimme.
»Ist es sicher hier?«
»Ich glaube, die Hälfte der Zeit schlafen die Lauscher sowieso.«
Biao blickte immer noch misstrauisch drein. Seine langen Arme baumelten ruhelos an seinen Seiten wie Bambusblätter im Wind, und seine dunklen Augen huschten suchend über die gekachelten Wände. Chang war froh, dass er diesen jungen Gefährten mit nach Russland genommen hatte – und nicht nur deshalb, weil er ihn vor den Schlachtfeldern in China retten und seinem Vater ruhigere Nächte schenken wollte. Biao gab ihm Rückendeckung. Chang brauchte ihn.
»Lass dich in deinen Gedanken nicht von der Sorge um Lauscher stören, mein Freund«, sagte Chang. Er hielt seine Lippen ganz nah an Biaos Ohr. »Bei diesem Rauschen hier sind sie sowieso taub. Doch als Kuan gestern ein paar unüberlegte Worte sagte, wurden weder sie noch ich hinterher danach befragt. Ich bin mir sicher, die Bärtigen finden unser Mandarin ebenso hart und störrisch wie wir ihr Russisch.«
Biao nickte.
Chang sprach schnell. »Es gibt einen Weg hinaus durch das Badezimmerfenster, über die Dächer. Ich möchte, dass du dich unbewacht
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