Die Sehnsucht der Konkubine
so meinte oder ihr nur etwas Nettes hatte sagen wollen, als jemand hart mit der Faust an die Tür trommelte. Sie erstarrte. Sein Daumen lag immer noch an ihrer Wange, ihre Finger umschlangen die Hand auf ihrem Knie.
»Nein«, flüsterte sie. »Nein.«
Rasch verfrachtete sie ihren Bruder ins Bett zurück, zog ihm die Decke bis über die Ohren und steckte die Zipfel unter der Matratze fest.
»Beweg dich nicht«, zischte sie.
Dann öffnete sie die Tür.
Draußen auf dem Treppenabsatz standen drei Männer. Lydia warf nur einen kurzen Blick auf sie und knallte ihnen die Tür vor der Nase zu.
»Wer war was?« Alexej rappelte sich aus dem Bett hoch.
»Schlechte Nachrichten.«
»Polizei?«
»Nein.«
»Wer, Lydia? Sag’s mir.«
Sie stand mit dem Rücken zur Tür, keuchend. »Sie sehen aus wie Killer.«
Alexej stieg hastig aus dem Bett und ging zur Tür. Er lauschte. Wieder schlug die Faust dagegen.
»Alexej Serow«, rief eine grobe Stimme. »Mach diese verdammte Tür auf, oder wir treten sie ein.«
Lydia starrte Alexej voller Entsetzen an. »Die kennen dich. Wer ist das?«
Alexej griff um sie herum, bekam den Türknauf zu fassen und zog die Tür auf. »Meine liebe Schwester«, sagte er mit einem Lächeln, das so schief war, dass er ihr plötzlich ganz fremd war, »ich möchte dich meinen neuen Freunden vorstellen.«
EINUNDVIERZIG
S ie haben ihn mitgenommen. In einem Wagen.«
»Geschieht dem Scheißkerl recht.«
»Liew«, fauchte Lydia. »Halt dein verdammtes Schandmaul.«
Der große Mann lachte. Elena versetzte ihm einen spielerischen Schlag. »Also, wer waren diese Leute?«, fragte sie. Sie war erregter, als Lydia erwartet hätte.
»Ich weiß nicht«, ächzte sie. »Das waren raue Gesellen. Schäbig angezogen, aber sie trugen gute Stiefel.«
»Du hast ihre Stiefel bemerkt?«
Lydia zuckte mit den Achseln. Ja, sie achtete auf Stiefel. Oft genug verrieten sie einem mehr über das, was ein Mann in der Brieftasche hatte, als der Pelz, den er trug.
»Sie hatten harte, kalte Augen und ein hartes, kaltes Lächeln.«
»Aber waren das seine Freunde?«, fragte Elena. »Er hat dir doch gesagt, das seien seine neuen Freunde.«
»Das waren nicht mehr seine Freunde als Ratten die Freunde von frischgeschlüpften Küken sind.«
»Haben sie denn irgendeinen Hinweis darauf gegeben, wohin sie ihn bringen?«
»Nein.«
»Hat er verängstigt ausgesehen?«
»Das würde Alexej nie zeigen.« Lydia dachte an die Situation zurück, stellte sich wohl zum hundertsten Mal vor, wie er geschaut hatte, als er das Zimmer verlassen hatte. Sein Rücken war durchgedrückt gewesen, sein Gang steif, und dabei hatte sie sich irgendwie an Hunde erinnert gefühlt, die einander mit gesträubtem Nackenfell umkreisen, bevor sie sich an die Kehle gehen. Sie erschauderte.
»Elena, ich schaff es nicht, ihn noch mal zu verlieren.«
Irgendwo in den Tiefen seines schwarzen Bartes blitzten Liews Zähne auf. »Mach dir keine Sorgen, kleine Lydia. Es braucht schon mehr als ein oder zwei Ratten, um deinen Scheißkerl von Bruder umzubringen.«
»Aber da ist noch etwas.«
»Was denn?«
»Ich erinnere mich, dass einer von denen keine Handschuhe anhatte. Er stand in der Tür, hatte die Hände in die Manteltasche gesteckt und bewachte den Flur.«
»Und?«
»Und ich hatte Angst, er könnte eine Pistole dabeihaben. Aber in dem Moment, als die beiden anderen mit Alexej zur Tür hinausgingen, nahm der Mann die Hände aus den Taschen, und ich konnte sehen, dass er quer über beiden Mittelfingern dunkle Tätowierungen hatte.«
Niemand rührte sich. Niemand sagte etwas. Es war, als wäre der Raum in tausend Stücke zersplittert.
»Was?«, wollte Lydia wissen. »Was ist denn? Was hab ich denn gesagt?«
»Tätowierungen«, brummte Popkow.
»Ja.« Lydia packte ihn an seinem breiten Unterarm und schüttelte ihn heftig. »Was bedeutet das?«
Elena und Popkow tauschten Blicke. Plötzlich raste Lydias Puls, ein Geräusch, als würde Wasser durch ihr Gehirn rauschen und ihre ganze Selbstkontrolle mit sich fortreißen.
»Wer sind sie? Wer sind diese Ratten?«
Elenas Gesicht veränderte sich. Ihre Sorge war Abscheu gewichen, und ihre fleischigen Lippen verzogen sich vor Ekel. »Es sind die wory w sakone «, murmelte sie. »Er ist bei den wory .«
Diese Worte – wory w sakone – hatte Lydia schon einmal gehört. Von dem Mädchen aus dem Zug.
Der Kosak ließ sich auf Lydias schmales Bett sinken, wobei der Metallrahmen aufjaulte wie ein liebestoller
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