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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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hierhergekommen, um wen zu finden?
    Wer war es? Wer?
    Meinen Vater. Es ist mein Vater. Ich bin hierhergekommen, um Jens Friis zu finden. Die Worte schienen in ihrem Kopf zu verhallen, weshalb sie sie sich wieder und wieder laut vorsagte.
    »Ich bin hierhergekommen, um meinen Vater Jens Friis zu finden.«
    Doch da waren andere Stimmen in ihr, die an ihr zerrten, sie quälten. Sie legte den Kopf in die Hände, wühlte die Finger in ihr Haar, als könnte sie so die Lügen von der Wahrheit trennen. In diesem Moment hörte sie ein leises Wimmern. Überrascht schaute sie sich um, weil sie damit rechnete, Misty unter einem der Betten hervorkriechen zu sehen, doch dann erkannte sie mit Entsetzen, dass sie selbst dieses Geräusch gemacht hatte.
    Eine Hand berührte sie am Knie. Kurz erschrak sie. Nur mit Mühe kehrte sie wieder in das Zimmer zurück, in die Gegenwart, und sah, dass es die Hand ihres Bruders war, der sie anschaute. Kräftige Finger, blaue Adern, die sich dick unterhalb der Haut schlängelten, eine Narbe auf dem Fingerknöchel, ein langer, scharlachroter Schorf, der sich den Daumen entlangzog. Die Nägel waren schmutzig, die Haut ungewaschen. Nicht die gepflegte Hand, die sie in Erinnerung hatte.
    »Alexej«, lächelte sie ihn an. »Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.«
    »Ist mit dir alles in Ordnung?«
    Ihr Lächeln wurde breiter. »Was wichtiger ist, geht es dir gut?«
    Er nickte. »Alles bestens.«
    »Nach bestens siehst du mir aber nicht aus.«
    »Ich brauch einfach nur was zu essen.«
    »Jedenfalls hast du ziemlich lange geschlafen.« Sie tätschelte seine Hand und stand auf. »Ich mach dir ein bisschen Suppe heiß.«
    Sie spürte seinen Blick auf ihr ruhen, als sie aus dem Zimmer ging, doch als sie mit dem Tablett zurückkam, auf dem ein Teller Suppe, ein Stück Schwarzbrot und eine Scheibe von Malofejews geräuchertem Schinken lagen, sagte er nur ein höfliches: »Spassibo.« Er setzte sich auf den Bettrand, und sie ließ ihn in Ruhe essen. Als er fertig war, setzte sie sich zu ihm.
    »Pass auf«, sagte er mit einem schiefen Lächeln. »Wahrscheinlich hab ich Flöhe.«
    »Wenn ich dich so anschaue, dann haben die wahrscheinlich mehr Angst vor dir als du vor ihnen.«
    Er lächelte, und auf einmal war da doch etwas, das sie an den Alexej von früher erinnerte.
    »Sag mir, was mit dir geschehen ist, Alexej. Ich hab wochenlang in Felanka auf dich gewartet, aber du bist nicht gekommen, und ich dachte, du hättest mich einfach im Stich gelassen. Um eigener Wege zu gehen.«
    Er zog die Stirn in Falten. »Du bist meine Schwester, Lydia. Wie kannst du so etwas denken?«
    Schuldgefühle stiegen in ihrer Brust auf, dick und klebrig. Sie nahm seine Hand und hielt sie fest, legte beide auf ihr Knie. »Weil ich blöd bin«, sagte sie mit einem Achselzucken und war erleichtert, als er lächelte. »Also, wo warst du?«, fragte sie.
    Er holte tief Luft. Sie wartete, beobachtete die Anspannung in den Sehnen seines Halses, bis er es ihr nach einem langen Schweigen erzählte. Wie er von den Gefängniswärtern in Felanka überfallen worden war, wie er in die schwarzen Fluten des Flusses gefallen und fast ertrunken wäre und wie er sich schließlich auf einem Schiff wiedergefunden hatte.
    »Ich habe unser Geld verloren, Lydia. Bis auf den letzten verdammten Rubel hab ich es verloren.«
    »Sogar das, was du in deinem Stiefel versteckt hattest?«
    »Das auch, ja.«
    Sie zwang sich dazu, darauf keine Reaktion zu zeigen. Zwang ihre Hände dazu, nicht zu zittern. »Du hättest mir die Hälfte geben sollen, damit ich darauf aufpasse, Alexej. Du hättest mir vertrauen sollen.«
    »Ich weiß. Du hast Recht. Es tut mir leid.« Er schüttelte den Kopf, und von seinem Haar ging ein übler Geruch aus. »Aber was nützt es uns jetzt, wenn es uns leidtut?«
    »Nichts.«
    »Lydia, das Geld kann ich nicht zurückholen, aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um sie wiedergutzumachen, meine …« Er stieß scharf den Atem aus. Es war ein wütendes, ein enttäuschtes Geräusch, in dem sich Lydias eigene Wut und ihre Enttäuschung spiegelten. »Meine Überheblichkeit«, endete er.
    »Deine Überheblichkeit?«
    »Meinen Stolz, meine Arroganz, meinen blinden Glauben an meine Unbesiegbarkeit. Schau mich an. Ist wohl nicht mehr viel Stolz da, oder?«
    »Du täuschst dich. Ich bin immer noch sehr stolz darauf, dich zum Bruder zu haben.«
    Er warf den Kopf in den Nacken und gab ein Geräusch von sich, das sie zuerst nervös machte,

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