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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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ehe sie merkte, dass es als Lachen gedacht war. »Gott weiß warum!«
    Sie blickte forschend in sein ausgezehrtes Gesicht. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, von maulbeerroten Schatten umgeben, die aussahen wie Blutergüsse. Sein Gesicht hatte sich verändert. Irgendein entscheidender Teil des Menschen, der er war, war ihm abhandengekommen, etwas, das viel wichtiger war als das Geld.
    »War es wirklich so schrecklich, Alexej? Ich meine deine Reise nach Moskau.«
    »Lydia, du würdest nicht glauben, was ich unterwegs alles gesehen habe. All das Leid und die Not, die Wut und die Feindseligkeit. Bruder steht gegen Bruder, Vater gegen Sohn, und sie alle sind so überzeugt davon, die richtige Antwort zu wissen. In einem Dorf habe ich gesehen, wie die Komsomolzen das Hab und Gut eines Mannes auf der Straße verbrannt haben, weil er seine Steuern nicht bezahlen konnte. Seine Frau hat sich selbst und ihr Baby auf den Scheiterhaufen geworfen und musste wieder weggezerrt werden.«
    »Ach, Alexej.«
    »Endlich habe ich begriffen, wobei es beim Kommunismus eigentlich geht. Ich weiß, sie tönen groß von Gleichheit und Gerechtigkeit, aber hinter der Sache steckt viel mehr. Es geht darum, den Menschen vollkommen umzukrempeln. Man will, dass wir keine Menschen mehr sind, sondern eine vollkommen neue Massenschöpfung, die keine der Schwächen mehr zulässt, die doch untrennbar mit unserer menschlichen Natur verbunden sind. Um das zu tun, muss der Staat zum Gott werden und zur selben Zeit ein Ungeheuer.«
    »Dann siehst du richtig schwarz für Russland.«
    »Wie sonst sollen wir es schaffen, dass dieses störrische und gottverlassene Land funktioniert?«
    »Du klingst wie Chang An Lo.«
    Zum ersten Mal sah er sie direkt an, ein forschender Blick, der so durchdringend war, als würde er mit einer messerscharfen Schaufel in ihrem Inneren herumstochern.
    »Er ist hier?«
    »Ja. Er gehört zu einer Delegation der Kommunistischen Partei Chinas in Moskau.«
    »Verstehe.«
    Er sagte nichts mehr, nur dieses eine tonlose Wort. Dann schaute er sich im Zimmer um, nahm die fleckige Tapete und die schäbigen Vorhänge in sich auf, und sie sah ihm an, dass er dachte, was das doch für ein dreckiges Loch war.
    »Mehr können wir uns nicht leisten«, erklärte sie. »Popkow und Elena leben hier bei mir. Wir haben Glück gehabt, es überhaupt zu bekommen. Zimmer sind so kostbar wie Goldstaub hier in Moskau. Es ist nicht leicht, Alexej. Nichts hier ist leicht. So ist das Leben.«
    Er ließ sein Kinn auf die Brust sinken. »Und Jens? Gibt es Neuigkeiten von ihm?«
    »Keine guten. Wir sind schon die ganze Zeit auf der Suche nach dem Gefängnis, in dem er hockt, aber die Leute sind zu verängstigt. Man bekommt sie nicht zum Reden.«
    »Verstehe«, sagte er wieder.
    Sie fragte sich, ob er wirklich verstand. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass sie genauso viel Angst hatte wie jeder andere hier und dass sie niemandem einen Vorwurf daraus machen konnte, wenn er den Mund hielt. So gerne hätte sie ihm auch gesagt, die Tatsache, dass Chang An Lo hier in Moskau war, habe ihr zum ersten Mal seit Monaten das Gefühl gegeben, noch am Leben zu sein, obwohl ihre sowjetischen Bewacher es ihnen so schwer machten zusammenzufinden. Auch dass sie sich jetzt sicherer fühlte, weil ihr Bruder bei ihr war, obwohl er sich in einer noch schlimmeren Lage befand als sie selbst, hätte sie ihm gerne mitgeteilt. Doch was war mit ihrem Vater? In welcher Art Welt lebte er? Kämpfte er ums Überleben? Und wie sollten sie ihn in dieser riesigen, verschwiegenen Stadt bloß jemals finden? Sag mir, wie. Wie? Doch als sie in Alexejs Augen blickte, die früher einmal grün gewesen waren und jetzt einen schlammigen Ton angenommen hatten, sagte sie nichts von alldem.
    Stattdessen lächelte sie ihn an. »Ich bin so froh, dass du hier bist, so wohlbehalten und gut aussehend wie immer unter all dem Dreck.«
    »Ich danke dir, Lydia. Du weißt, dass ich dich nie im Stich gelassen hätte. Und ich hätte auch niemals gewollt, dass du das alles hier allein durchstehst.«
    Sie spürte, wie ihr zwei heiße Tränen über die Wangen kullerten. Alexej strich mit dem Daumen ganz leicht über ihr Jochbein und wischte sie mit einer Zärtlichkeit und Zuneigung weg, von der sie wusste, dass sie sie nicht verdiente, wenn man bedachte, wie oft sie ihn hinter seinem Rücken verflucht hatte.
    »Es macht mich glücklich«, sagte er, »dich glücklich zu sehen.«
    Sie überlegte gerade, ob er das wirklich

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