Die Sehnsucht der Konkubine
geformt war und irgendwo neben ihrem Kopf lag, und stieß es mit all ihrer Kraft ihrem Mann in den Leib. Es bohrte sich bis zum Heft zwischen seine Rippen.
Ein hohes Pfeifen entwich seiner Kehle, ehe er seitwärtskippte, eine Hand um den silbernen Messergriff gekrallt, der aus seiner Brust ragte. Er sank auf den Boden. Antonina sprang auf, ihr Gesicht eine Maske aus Blut, und blickte voller Entsetzen auf die leblose Gestalt ihres Mannes hinab. Ihre Fingernägel begannen wie wild an ihrem Arm zu kratzen.
Lydia agierte schnell. Zuerst fühlte sie den Puls, wusste jedoch, noch bevor sie die Finger an Dmitris Hals presste, dass sie keinen mehr finden würde – es war nicht das erste Mal, dass sie in die Augen eines Toten blickte. Sie ließ Antonina sich hinsetzen, ein Tuch für ihr Gesicht in einer Hand, ein Weinglas voller Branntwein in der anderen. Dann zog sie das Messer aus Dmitris Rippen, wusch es gründlich ab und legte es auf den Schreibtisch zurück, rollte dann den toten Körper in den afghanischen Teppich ein, bevor sich das Blut noch weiter im Raum verteilte. Erst dann dachte sie daran, sich wieder anzuziehen.
Sie nahm neben Antonina auf der Chaiselongue Platz und schlang die Arme um die zitternde Frau, hielt sie fest, wiegte sie, murmelte ihr leise Trostlaute ins Ohr. Dabei füllte sie Antoninas Glas immer wieder nach, bis der Alkohol seine Wirkung tat und das Beben in ihrem Körper abebbte und ihre Arme und Beine so schlaff herunterhingen wie ihr Haar. Sie ließ den Kopf an Lydias Schulter sinken, und Tränen strömten über ihre Wangen.
»Ich wollte ihn nicht töten.«
»Ich weiß.«
»Jetzt muss ich ins Gefängnis«, flüsterte Antonina.
»Vielleicht nicht.«
»Doch, bestimmt. Die sowjetische Polizei wird mich verurteilen.«
»Willst du das etwa tun? Dich der Polizei stellen?«
» O Lydia, ich habe gerade meinen Mann getötet. Was soll ich denn sonst tun?«
Lydia strich Antonina das feuchte Haar aus dem Gesicht. »Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit.«
Die kummervollen Augen, die so tief in ihre Höhlen gesunken waren, wandten sich ihr fragend zu, und Lydia dachte über das nach, was Elena ihr gesagt hatte. Diese Frau war genug geschädigt. Und jetzt das noch.
»Sag mir, Lydia, wie meinst du das?«
»Wir können jetzt gleich zur Polizei gehen und erzählen, was passiert ist, und dann wirst du, wenn du Glück hast, nach ein paar Monaten in einer Gefängniszelle, nach vielen Verhören und einem Prozess, als Gefangene in einer Mine in Sibirien Zwangsarbeit verrichten.« Sie wischte Antoninas Tränen mit dem Ärmel ab. »Das wäre nicht sehr angenehm.«
»Oder was?«, schluchzte die Frau.
»Oder«, Lydia zögerte. »Wir beerdigen ihn. Und machen einfach mit unserem Leben weiter.«
Antonina starrte sie entsetzt an. »Wo? In einem der Parks? Den Alexander-Gärten vielleicht? Du bist verrückt.«
»Nein. Denk doch mal drüber nach. Dmitri ist tot.« Lydia spürte, wie eine Welle der Übelkeit und der Ungläubigkeit sie überkam. Dmitri Malofejew tot. Die Worte machten ihr Angst. »Wir können nichts tun, das dir deinen Mann wieder zurückbringt. Wenn du ins Gefängnis gehst, wird ihm das an dem Ort, wo er jetzt ist, auch nicht mehr helfen. Und ich kann bezeugen, dass es Notwehr war. Ich habe gesehen, wie er versucht hat, dich umzubringen.«
»Meinst du das ernst?«
Lydia nickte.
»Ach, du bist verrückt. Hast du noch nichts begriffen? Wir sind hier in Sowjetrussland. Es gibt keine Fluchtmöglichkeiten. Wir sind alle im kommunistischen Netz gefangen, im Guten wie im Schlechten. Ich habe ein schweres Verbrechen begangen und werde auch dafür …«
»Gib nicht auf. Noch nicht. Du hast mir geholfen. Dann lass mich jetzt dir helfen.«
Mit einem traurigen Zug um ihre Lippen berührte Antonina Lydia an der Hand. »Das ist der Grund, warum er dich so sehr begehrt hat. Wegen dieses Lichts, das in dir brennt. Er wusste, dass du ihn nur benutzt hast, aber er konnte einfach nicht die Finger von dir lassen.«
Lydia erschauderte. Sie schaute auf den zusammengerollten Teppich und empfand Trauer für den Mann, der Dmitri Malofejew hätte sein können.
»Antonina«, sagte sie. »Besitzt du ein Auto?«
Chang An Lo wusste in dem Moment, als er den Raum betrat, dass sie da war, auch wenn sie keine Lampe angezündet hatte. Er spürte ihre Anwesenheit sogar in vollkommener Dunkelheit. Kein Geräusch, keine Bewegung, nur das Gefühl, dass sie da war. Ihr Verstand, ihre Gedanken, sie selbst.
»Lydia«,
Weitere Kostenlose Bücher