Die Sehnsucht der Konkubine
»Danke.«
»Für dich habe ich das nicht getan, Mädchen.«
»Ich weiß.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du noch mal hierher zurückkommst.«
»Warum nicht?«
»Weil es ohne den Kosaken keinen Grund mehr für dich gibt, hierher zurückzukehren.«
»Aber du bist doch hier. Und Edik mit seinem Hund.« Ihr Ton klang irritiert.
»Wie ich gesagt habe. Kein Grund zurückzukommen.«
»Elena«, sagte Lydia feierlich. »Ich dachte, du und ich wären Freundinnen.«
»Dann hast du dich getäuscht.«
Die Frau warf die Gewehrkugel auf Liews Brust, wo sie wie ein winziger Grabstein auf dem Verband liegen blieb.
»Lydia«, sagte Alexej schnell. »Komm mit mir. Wir kaufen ihm Medikamente.« Er wollte sie aus dem Zimmer haben.
Sie bewegte sich nicht. Ihr Blick ruhte unbeirrt auf der Russin.
»Warum habe ich mich getäuscht, Elena?«
Der Gesichtsausdruck der Frau wurde weich. Doch das machte es nur schlimmer, als sehe sie einfach keine Hoffnung für das junge Mädchen, das da vor ihr stand.
»Weil«, sagte Elena, »du alles kaputt machst, was du anfasst.«
FÜNFZIG
D iesmal klingelte Lydia. Sie schloss die Augen, während sie wartete, um sich vor diesem Moment so abzuschotten, als widerfahre er nicht ihr, sondern einem ganz anderen Menschen. Während es in der Stadt mit ihrer beißenden Luft endlich dunkel wurde und ein melonengelber Mond am Abendhimmel emporstieg, war sie in der Straßenbahn quer durch Moskau gefahren.
Sie hatte einen Laternenanzünder pfeifend auf seinem Fahrrad die Straße entlangradeln sehen, den langen Holzstab über der Schulter, hatte beobachtet, wie er unter einer Laterne anhielt und ohne abzusteigen mit der Spitze seines Stabes das Gas aufdrehte. Sie wünschte sich an seine Stelle. Auch die Straßenbahnschaffnerin, eine Frau mit müden Augen, hatte sie beobachtet, wie sie mit der gebührenden Achtsamkeit einem jeden Fahrgast sein Ticket aushändigte, und auch sie hatte sie beneidet. Ebenso wie das Mädchen mit dem Baby, das ein Muttermal hatte. Oder das Paar, das Arm in Arm über die Straße ging.
Jeden hatte sie beneidet. Außer sich selbst.
Die Tür ging auf. »Ach Lydia, wie bezaubernd von dir, dass du vorbeikommst.«
»Guten Abend, Dmitri.«
»Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht mit dir gerechnet habe. Du siehst, wie groß mein Vertrauen ist, dass du Wort hältst.«
Er trug einen braunen Seidenmorgenmantel über einer schwarzen Hose und auf dem Gesicht ein so zuvorkommendes Lächeln, dass einen kurzen Augenblick lang Hoffnung in ihr aufkeimte. Er riss die Tür auf, und sie trat in die Halle. Musik kam aus einem der Räume herübergeweht, und sie erkannte sie auf der Stelle, denn ihre Mutter hatte das Stück oft gespielt. Es war eine Nocturne von Chopin.
»Du siehst müde aus, Lydia, ausgesprochen müde. Lass mich dir ein Glas Wein eingießen. Dann fühlst du dich besser.« Er hielt ihr die Hände hin, um ihr aus dem Mantel zu helfen.
Sie rührte sich nicht, sondern stand nur in Hut und Mantel mitten in seiner überheizten Wohnung, und versuchte, ihn hinter seinem Lächeln zu entdecken, doch er war viel zu gut versteckt.
»Dmitri, tu das nicht.«
Seine grauen Augen wurden groß. »Meine liebste Lydia. Wir haben eine Abmachung getroffen.«
»Ich weiß.«
»Dein Kosak ist wieder zuhause.«
»Ja.«
»Nicht mal tot.«
»Nein.«
»Also.« Er breitete die Hände aus, als verwirrte ihn etwas. »Wo liegt das Problem?«
»Ich möchte das hier nicht tun.«
Er schenkte ihr einen trägen, traurigen Blick und nahm ihr sanft die Mütze ab, unter der sich ihre flammende Haarpracht löste und ihr über beide Schultern fiel.
»Ich glaube wirklich nicht«, sagte er leise, »dass das, was du möchtest, hier relevant ist. Wir haben eine Übereinkunft getroffen. Abgemacht ist abgemacht. Ich habe meinen Teil erfüllt, und jetzt bist du an der Reihe.« Seine Stimme klang anders, als ob sein Mund trocken und die Zunge schwer sei.
»Dmitri, bitte. Du bist ein anständiger Mensch, und wir können doch immer noch Freunde sein, trotz …«
»Freunde! Ich will nicht mit dir befreundet sein!«
Eine Sekunde lang war Wut in seinen Augen aufgeflackert, und er fletschte die Zähne. Dann war der Moment vorüber, wie erloschen unter einem zuvorkommenden Lächeln. In diesem Augenblick begriff sie, dass nichts ihn von seinem Vorhaben abbringen würde, und sie begann, ihn zu hassen. Sie blickte sich um, in Richtung Tür.
Er legte die Hand auf ihr Handgelenk. »Nein, meine kleine Lydia, njet .«
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