Die Sehnsucht der Konkubine
wünschte. Doch heute wird es keine Hirngespinste geben. Bald wird sich alles ändern. Wir kommen Dich holen. Sei bereit. Alexej hat Freunde hier in Moskau, die uns helfen wollen, er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Verbündeten auf unsere Seite zu ziehen. Mehr kann ich Dir nicht sagen. Es macht mich nervös, all das einem Blatt Papier anzuvertrauen.
In das Gefängnis kann ich nicht mehr kommen, weil ich nichts mehr habe, um den Bäcker zu bestechen. Glücklicherweise hat er ein gieriges Herz, aber jetzt sind meine Taschen leer. Deshalb muss ich mich jetzt für den Moment verabschieden. Au revoir. Bis zum Wiedersehen. Ich bin nervös. Was, wenn ich nicht die Tochter bin, auf die Du gehofft hast? Ich hab Dich lieb, Papa.
Deine Lydia
Jens’ Hand zitterte. Er wusste bereits, dass er nicht der Vater sein würde, den sie sich erhoffte. Doch für einen Tag mit ihr, nur einen einzigen Tag, hätte er sein armseliges Leben hingegeben. Ach, Lydia, meine geliebte süße Tochter, wie viel riskierst du für mich?
»Alexej, das macht mich stolz.«
»Das freut mich, Maxim.«
»Er hat es gut gemacht. Er ist ein wahrer Künstler.«
Alexej hob den Arm und betrachtete die neue Tätowierung. Sie stellte eine große Spinne dar, die seinen Bizeps hochkrabbelte, ein Hinweis dafür, dass der Träger der Tätowierung im kriminellen Leben aktiv war. Ein zweites Kainsmal.
»Ist alles bereit?«, fragte er.
»Meine Männer sind bereit. Das letzte Treffen ist heute.«
»Lydia hat darum gebeten, dabei sein zu dürfen.«
»Nein.«
» Pakhan , sie und ich gehen diesen Weg schon sehr lange gemeinsam. Lass sie mitkommen.«
»Mein Sohn, das Mädchen hat dich wirklich verhext. Sie ist nicht mehr deine Schwester, vergiss das nicht. Ein wor hat keine Schwester.« Maxim nippte mit strengem Blick an seinem Weinbrand.
Alexej zog sein sauberes Hemd an und knöpfte es nachdenklich zu. »Maxim, ich bin dir für all das, was du getan hast, dankbar.« Er hob seinen eigenen Cognacschwenker an die Lippen, obwohl es noch früh am Morgen war und er noch nichts im Magen hatte. »Wenn das hier vorüber ist, kannst du mich um jeden erdenklichen Gefallen bitten.«
»Wenn das hier vorüber ist, bist du vielleicht tot.«
Alexej lachte, ein sorgloses, heiteres Lachen, das Wosch-tschinski überraschte. »In dem Fall werde ich dir die Tür aufhalten, mein Freund.«
Maxim lächelte nicht.
Meine Lydia,
von Deinem Chang An Lo, Deinem weißen Kaninchen und von Deiner Vorliebe für einen Maler zu lesen, von dem ich noch nie gehört habe, lässt Dich in meiner Vorstellung immer plastischer und lebendiger werden. Du bist Wirklichkeit geworden. Auch ich bin neugierig. Ich möchte alles über Dein bisheriges Leben erfahren, über jeden Tag, jeden Erfolg, jeden Rückschlag, und über jeden Gedanken, der in Deinem jungen Kopf wächst und gedeiht.
Du bittest mich, Dir von mir und von dem, was ich denke, zu erzählen, aber es gibt nichts zu erzählen, Lydia. Ich existiere kaum. Ich lächele nicht, und ich lache nicht, und ich versuche, nicht zu denken. Irgendwo im Gefangenenlager ist mein Lachen gestorben, doch ich trauere nicht darum. Was für ein Mensch ich bin? Eine Unperson. Stattdessen werde ich also tun, worum Du mich gebeten hast, und Dir von meiner Arbeit erzählen. Sie ist das Einzige in mir, was noch gut und wertvoll und lohnend ist. Doch selbst diese Facette von mir untergrabe ich gerade. Trotzdem: Hier ist sie.
Wahrscheinlich hast Du nie von dem italienischen General Nobile gehört. Warum solltest Du auch? Er ist ein hervorragender Erbauer von halbstarren Luftschiffen. Mir hat ein junger Ukrainer von ihm erzählt, der früher sein Assistent gewesen war, aber im Gefangenenlager von Trowitsk in der Schlafkoje unter mir landete. Der arme Teufel hatte einen kleinen Fehler gemacht, der dazu führte, dass sich seine Berechnungen als ungenau herausstellten. Sabotage, hatte es geheißen, und so war der Ukrainer im Gefängnis gelandet.
Er starb in dem harten Winter beim Roden, doch vorher hat er mir noch einige Dinge erzählt. Über Nobiles Pläne. Er strebt einen massiven Ausbau der Nutzung von Luftschiffen für militärische Zwecke an. Lydia, Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie aufregend das alles ist. Es ist die Zukunft. Nobile hat sogar Stalin dafür begeistern können. Und was wird jetzt geschehen? Stalin hat ein Entwicklungsprogramm für Luftschiffe der Roten Armee in Auftrag gegeben und plant eine öffentliche Ausschreibung über mehrere
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