Die Sehnsucht der Konkubine
nichts.
Ihr Mund verzog sich schmerzlich, und sie verbarg ihn rasch hinter der kleinen Porzellantasse. »Du meinst, man wird sie erschießen?«
»Ja, das glaube ich.«
Ihre Hand in der seinen bebte.
»Er wird sterben«, flüsterte sie.
»Wenn wir ihn nicht rauskriegen.«
»Verurteile meinen Vater nicht, Chang. Wir können nicht wissen, welches Grauen er durchgemacht hat, zwölf Jahre lang, Tag für Tag. Nur so konnte er dem ein Ende bereiten.«
Chang öffnete die Hände und ließ sie los. »Ich weiß. Jeder von uns hätte das Gleiche getan.«
Sie wussten beide, dass das nicht stimmte.
»Danke«, murmelte sie und lächelte ihn an.
Der Junge hockte an Popkows Bettende, spielte mit ihm Karten und stritt sich mit dem großen Mann. Die beiden pokerten wie wild um getrocknete Bohnen, und wenn man nach dem Häuflein gehen konnte, das neben ihm lag, war Edik dabei zu gewinnen. Misty lag zusammengerollt auf Elenas Schoß, die genüsslich gluckste, als der Welpe ihre Finger leckte, als wären es Würste. Doch in dem Moment, als Lydia hereinkam, war es mit dem Kartenspiel und dem Lachen vorbei. Die Versuchung war für Lydia groß, gleich wieder hinauszugehen.
»Dann geht es dir also besser, Liew«, neckte sie ihn. »Ich wusste, dass du dich nur krank gestellt hast.«
Popkow schenkte ihr ein etwas gequältes Lächeln. »Wollte einfach mal einen Tag im Bett bleiben.«
»Du fauler Kosak.« Lydia zog die Stirn in Falten. »Warum mache ich mir dann eigentlich die Mühe, in Schnee und Eis herumzulaufen und dir deine Medizin zu kaufen?«
Sie warf ihm eine kleine Flasche Wodka zu, und der Hund stürmte auf sie zu, ein Kuddelmuddel aus Pfoten und Lefzen. Sie zog eine braune Papiertüte aus der Tasche und gab Misty eine frittierte Pirogge , auch Edik und Elena bekamen eine.
»Was ist das?«, fragte Elena mit gespielter Unbekümmertheit »Abschiedsgeschenke?«
»Vielleicht.«
»Dann ist es also in die Wege geleitet?«, fragte Popkow sofort, zwischen zwei Schlucken aus der Wodkaflasche.
»Ja.«
»Morgen?«
»Ja.«
»Ich werde dort sein.«
»Nein!«, riefen Lydia und Elena wie aus einem Munde.
»Jedenfalls«, fügte Lydia schnell hinzu, »wirst du nicht gebraucht. Alexej hat alles genau geplant, und du weißt ja, dass er lieber einen tollwütigen Hund an seiner Seite hätte als dich.«
Popkow verschloss die Flasche wieder und warf sie Lydia quer durch das Zimmer zu. Sie prallte an ihrer Hüfte ab und rollte ohne zu zerbrechen über den Boden. »Ich komme mit, verdammt noch mal, Mädchen. Jens Friis war mein Freund.«
Elena starrte Lydia finster an, die prompt die Flasche aufhob, hinüber zu Popkow ans Bett ging und ihm damit einen Schubs an der geprellten Wange verpasste. »Du wartest hier, du hirnloser Bär, und ich bringe ihn zu dir.«
»Alexej, ich habe ein Geschenk für dich.«
»Das einzige Geschenk, das du wirklich brauchst, ist hier.«
Er hob Antoninas Hand und küsste ihren blassen Rücken. Sie trug keine Handschuhe. Noch immer stand sie unter Schock wegen dem, was sie getan hatte, noch immer brach sie hin und wieder in Schluchzen und Zittern aus, und noch immer stand Angst in ihren dunklen Augen. Alexej wusste nur zu gut, wie es sich angefühlt hatte, als er zum ersten Mal jemanden getötet hatte: ein Moment, der sich für alle Zeiten ins Gehirn einbrannte. Das Gefühl verließ einen nie, es blieb da und zerrte an einem Menschen, bis er lernte, es wegzulegen, wie in eine Schachtel, und ganz leise den Deckel darüber zu schließen.
»Schau mich nicht so an«, sagte sie verlegen. »Ich sehe schrecklich aus.«
»Nein, du siehst hübsch aus.«
Er meinte es auch, trotz ihrer geschwollenen Nase und der blauen Flecken. Seit dem Tod ihres Mannes war da etwas Reales, Greifbares an ihr, das vorher nicht da gewesen war. Als würde sie ganz behutsam all die zarten Schichten, durch die sie sich geschützt hatte, ablegen.
»Zeig mir, was es ist«, sagte er. »Dieses Geschenk von dir.«
Antonina führte ihn durch die Wohnung zu einem Schrank am anderen Ende des Flurs und riss mit einer triumphierenden Geste die Türen auf. Er runzelte die Stirn, als er sah, was sich darin befand, zuerst vor Überraschung, und dann begann er langsam zu lächeln. An einer Messingstange hing die Uniform eines Offiziers der Roten Armee.
ZWEIUNDFÜNFZIG
I m Dunkeln war der Wald ganz anders. Lydia hatte damit gerechnet, dass ihre Augen sich irgendwann an die Dunkelheit gewöhnen würden, aber das taten sie nicht. Sie konnte immer
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