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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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Millionen Rubel. Josef Stalin mag ein brutaler Mann und ein egozentrischer Tyrann sein, doch dumm ist er nicht. Er weiß, dass ein weiterer Krieg vor der Tür steht, und setzt alles daran, dass Russland darauf vorbereitet ist.
    Dafür brauchte er Ingenieure, und das ist der Grund, warum man mich von den Toten zurückgeholt hat. Es gibt ein Luftschiffprojekt in Dolgoprudnaja in der Nähe von Moskau, das allgemein bekannt ist, doch das in dem Wald, bei dem ich mitarbeite, ist geheim. Wir bauen ein … wie soll ich es nennen? Ein Ungeheuer. Ein riesiges, silbriges, dünnhäutiges Ungeheuer mit tödlichem Atem. Eine Tötungsmaschine.
    O Lydia, hat Gott das im Sinn gehabt, als er den Menschen erschaffen hat? Dass er eine schöne Tötungsmaschine konstruieren würde?
    Denn genau darum geht es bei meinem Projekt. Luftschiffe können große Distanzen zurücklegen, weitaus größere als normale Flugzeuge. Und so haben wir – das ist der Teil, den ich kaum zu denken wage, geschweige denn, ihn zu Papier zu bringen – zwei Doppeldecker unter ein Luftschiff gehängt, die nicht mit Bomben, sondern mit Gaskanistern bestückt sind. Und zwar mit Giftgas. Ja, Du hast richtig gelesen. Giftgas. Phosgen. Wenn das Luftschiff unerwartet weit in feindliches Gebiet eingedrungen ist, können die Flugzeuge in den Sinkflug gehen und ganz tief über eine Stadt oder Kasernen hinwegfliegen. Dann werden sie ihr tödliches Gas versprühen und wie ein Todesengel eine Spur des Grauens hinterlassen.
    Stalin plant, eine ganze Flotte davon zu bauen. Mit meiner Hilfe. Meiner Hilfe. Was für ein Mensch bin ich, Lydia, und wer kann ein solches Wesen erschaffen? Diese Woche führen wir den ersten Test durch – das heißt, mit echtem Phosgen anstelle von Sodakristallen und mit echten Menschen statt mit Gummipuppen. Meine wunderschöne Tötungsmaschine wird in Betrieb genommen.
    Bete für meine Seele, Lydia, wenn Du denn einen Glauben hast und ich eine Seele. Und für die meines toten Freundes Liew Popkow.
    Dein Vater, der Dich mit allem liebt,
    was von seinem Herzen übrig ist.
    Papa
    Chang An Lo sah dabei zu, wie Alexej den Brief, der mit gestochener Schrift auf hauchdünnem Papier geschrieben war, sorgfältig zusammenfaltete und ihn Lydia zurückgab. Er sah, welche Mühe es ihm bereitete, sich seine Wut nicht anmerken zu lassen.
    »Du bist in das Gefängnis gegangen? Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt für einen Brief ?«, wollte Alexej von seiner Schwester wissen.
    »Nein, das Risiko war ziemlich gering.«
    Sie alle wussten, dass sie log.
    »Nur zu deiner Erinnerung«, sagte Alexej steif. »Popkow wurde genau dafür angeschossen.«
    »Nein, das stimmt nicht. Ein Wärter hatte ihn erkannt, und auf Liew wurde geschossen, weil er sich der Festnahme entziehen wollte. Mich würde niemand erkennen.«
    In Changs Augen war offensichtlich, dass Alexej sich nicht entscheiden konnte, was ihn wütender machte – der Ungehorsam seiner Schwester oder die eigene Enttäuschung über seinen Vater. In dem Brief war er nicht ein einziges Mal erwähnt worden. Als wären uneheliche Söhne nichts wert. Doch Alexej war auch deutlich schockiert von dem Grauen, das Jens Friis in seinem Brief angekündigt hatte, wesentlich mehr als Lydia. Für Chang machte das Geständnis in dem Brief keinen großen Unterschied, weil er nichts von dem für Jens Friis tat, es ihn aber zutiefst verärgerte, dass Lydias Vater sie im Stich gelassen hatte. Das konnte er in ihren Augen sehen, an ihrer Verwirrung.
    »Also«, sagte Chang leise, »lassen wir den Plan fallen?«
    Vier Augenpaare richteten sich auf ihn, und bis auf eines blickten sie alle feindselig.
    »Nein.«
    »Ja.«
    »Ja.«
    »Nein.«
    Das erste und lauteste Nein war von Lydia gekommen, das letzte von Alexej. Dazwischen hatten Maxim und Igor gesprochen. Die Zusammenkunft fand in der Wohnung des russischen Diebes statt, und Chang mochte weder die Räumlichkeit noch ihren Besitzer, ließ sich dies aber nicht anmerken. Er war hier, weil er darum gebeten worden war, und hatte es auch nicht krummgenommen, als der dicke Mann mit der fleckigen Haut gesagt hatte: »Jetzt auch noch ein Scheißschlitzauge und das Mädchen dazu.« Chang hatte gesehen, wie sich der Gesichtsausdruck des fanqui in der Stille, die eintrat, verhärtete, so wie geschmolzenes Eisen im Wasser erstarrt, und nahm es als gutes Zeichen. Ein Plan, der so riskant war wie der ihre, brauchte ein Herz aus Eisen als seinen Kern.
    »Die werden nicht wollen, dass du kommst«,

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