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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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Moment damit, geschlagen zu werden. Einige trugen Mäntel, andere Anzüge, den Kragen zum Schutz gegen den Regen hochgeschlagen; einer war sogar hemdsärmelig. Und niemand trug eine Kopfbedeckung.
    Sie zwang sich dazu, sich die Männer genau anzusehen und den Blick nicht abzuwenden, so gern sie das auch getan hätte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie trete ihnen damit zu nahe. Da war eine Nacktheit an ihren gebeugten Gestalten, ihre Angst und Erniedrigung waren irgendwie zu groß, zu offenbar, als dass jeder sie sehen durfte. Ihr wurde übel.
    Papa, ist es so für dich? Diese Demütigung, erlebst du sie auch?
    Es fiel ihr schwer zu schweigen, die Worte, die sie am liebsten hinausgeschrien hätte, für sich zu behalten. An der Kleidung und der Verwirrung, die die Männer ausstrahlten, erkannte sie, dass es sich um neue Gefangene handelte. Das zeigte sich an den nervösen Blicken, die sie den Wachposten zuwarfen, selbst an der Art und Weise, wie einer von ihnen kurz zu Lydia selbst schaute. An der Scham, die dabei in seinen Augen stand. Ein Mann mit einem kleinen Bündel, das er in einen Schal gewickelt hatte, brachte ein verlegenes Lächeln für Lydia zu Stande, als wollte er ihr unbedingt weismachen, das alles sei nur ein Missverständnis. Und dass man sie aus ihrem warmen Bett gerissen hatte, sei nur deshalb geschehen, weil … Ja, warum eigentlich? Weil sie ein unbedachtes Wort hatten fallenlassen oder den falschen Gedanken geäußert hatten?
    Die drei Soldaten benutzten ihre Gewehre wie Stöcke, mit denen man Vieh zusammentreibt, und brachten die Männer dazu, sich in einer langen Reihe aufzustellen, die dann auf den Eingang des Bahnhofs zustolperte. Ganz am Ende der Reihe begann ein kleiner, dicklicher Mann zu schluchzen, als wären Kummer und Angst ihm einfach zu viel geworden. In Lydias Ohren klang es mehr wie der Schrei eines Tieres als der eines menschlichen Wesens.
    »Geh wieder rein da.«
    Das hatte einer der Wachsoldaten gerufen, die auf dem Bahnsteig patrouillierten. Er stieß nach der offenen Zugtür, um sie zu schließen.
    »Genosse Soldat.« Lydia lächelte ihn an und zog die Mütze ab, um ihre Haarmähne freizugeben. Der Mann war jung. Und er lächelte zurück.
    »Meine Lungen sind nicht gut«, sagte sie, »und in meinem Abteil ist immer Rauch. Ich brauche ein bisschen frische Luft.« Sie zog lautstark die Luft ein, um ihrem Argument Nachdruck zu verleihen, und spürte, wie die eisige Luft in ihrer Kehle kratzte. Sie musste husten.
    »Na, dann mach doch die Tür zu und stattdessen das Fenster auf.« Sein Ton war freundlich.
    In diesem Moment fiel ihr Blick auf eine elegante Gestalt, die weiter hinten am Zug Anstalten machte auszusteigen. Es war Antonina. Zum Schutz gegen die Regentropfen, die auf ihrem Pelz glitzerten wie Diamanten, beugte sie den Kopf. Hinter ihr wuchteten die beiden uniformierten Begleiter ihr Gepäck aus dem Zug, doch Alexej hatte sich getäuscht. Sie hatte überhaupt keine Eile. Sie ließ sich Zeit. Ganz gemächlich streifte sie sich die grauen Lederhandschuhe über die Finger, brachte ihren Hut in den richtigen Winkel und musterte dann mit ausdruckslosen Augen die armselige Reihe der Gefangenen. Ein paar geflüsterte Worte zu einem ihrer uniformierten Begleiter, und auf der Stelle wurde ein kleiner, schwarzer Schirm für sie gezückt. Sie nahm ihn entgegen, hielt ihn sich aber viel zu hoch über den Kopf, weil es ihr offenbar gleichgültig war, dass er den Graupelregen nur ungenügend von ihr abhielt.
    Lydia holte tief Luft. Ein paar Augenblicke blieben ihr, höchstens eine Minute. Länger nicht, dann würde der Zug weiterfahren. Der Soldat hatte immer noch die Hand an die Tür gelegt, bereit, sie zuzuschlagen.
    »Antonina!«, rief sie.
    Das Augenpaar, tief in die Höhlen gesunken, richtete sich auf sie, zum Schutz gegen den Regen zusammengekniffen. Antonina nickte ihr kurz zu.
    Der Soldat begann die Zugtür zu schließen. »Geh zurück da«, sagte er.
    Lydia bewegte sich nicht. »Antonina«, rief sie abermals.
    Mit achtsamen Schritten überquerten die taubengrauen Stiefelchen den nassen Bahnsteig, und dann stand Antonina vor ihr, winzig klein im Vergleich zu Lydia, die hoch oben auf der obersten Treppenstufe stand. Der Soldat entfernte sich mit einem schmucken Salut. Offensichtlich wusste er, wer diese Frau war. In ihrem Pelz und dem scharlachroten Lippenstift wirkte sie wesentlich unzugänglicher als in dem burgunderroten Morgenmantel.
    Lydia versuchte sich an einem

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