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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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freundlichen Lächeln, erntete damit jedoch nur ein distanziertes Verziehen des Gesichts.
    »Bevor du auch nur fragst, junge Genossin«, sagte die Frau brüsk. »Die Antwort lautet nein.«
    »Die Antwort worauf?«
    »Auf deine Frage.«
    »Ich habe gar keine Frage gestellt.«
    »Aber du wolltest.«
    Lydia erwiderte nichts.
    »Wolltest du etwa nicht?« Antonina kippte ihren Schirm ein wenig nach hinten und unterzog Lydia einer ausführlichen Musterung. Ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen verzogen sich spöttisch. »Ja, ich kann sehen, dass du das wolltest.«
    Antoninas Art brachte Lydia aus dem Konzept. Sie war herablassend, sie gab ihr das Gefühl, unbeholfen und kindlich zu sein. Auf einmal war sie sich nicht mehr sicher, wie sie vorgehen sollte. Heute war an dieser Frau etwas so Ausweichendes, Ungreifbares, dass Lydia bereits all ihre Felle davonschwimmen sah.
    »Ich wollte mich nur verabschieden«, murmelte sie.
    » Do swidanija , Genossin.«
    »Und …«
    »Und was?«
    »Und ja … Du hast Recht, Genossin. Ich möchte etwas fragen.«
    »Ständig will mich jemand etwas fragen.« Der finstere Blick der Frau wanderte zu den Gefangenen hinüber, die dicht gedrängt am Bahnsteig standen und auf weitere Befehle warteten. Durch den unablässigen Regen klebte ihnen das Haar am Kopf, doch der dickliche Mann hatte mit dem Schluchzen aufgehört und stand still und mit bebenden Schultern da, die Hände vors Gesicht geschlagen.
    Diesmal sah Lydia weg. Es war zu viel.
    »Jeder«, fuhr Antonina in einer Stimme fort, die amüsiert klang, obwohl ihre Augen dabei ganz traurig und ernst blickten, »möchte, dass ich für ihn ein Paket abgebe, eine Nachricht weiterleite oder dass ich meinen Mann, den Kommandanten, bitte, irgendeinem Angehörigen einen Gefallen zu tun.«
    Lydia trat auf der Treppe unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Manchmal werden Fehler gemacht«, sagte sie. »Nicht jeder ist schuldig.«
    Die Frau gab ein kurzes, hartes Lachen von sich. »Die Entscheidungen der Geheimpolizei, der GPU , sind immer richtig.«
    Lydia wusste, dass ihr die Zeit davonlief. Rasch sagte sie: »Ich suche nach jemandem.«
    »Tut das nicht jeder von uns?«
    »Sein Name ist Jens Friis. Er ist 1917 in Gefangenschaft geraten, dürfte aber überhaupt nicht in einem russischen Gefängnis sitzen, weil er Däne ist. Ich muss einfach nur wissen, ob er hier in diesem Lager ist. Das ist alles. Sonst nichts. Um zu hören …«
    Die Augen der Frau richteten sich auf sie, glatt und kalt wie schwarzes Eis, doch sie hatte wieder damit begonnen, die Handflächen ihrer blassgrauen Lederhandschuhe gegeneinanderzureiben. Als sie bemerkte, wie Lydia das beobachtete, lächelte sie zum ersten Mal, ein kleines, böses Lächeln, aber doch ein Lächeln.
    »Ist dieser Mann dein Liebhaber?«
    »Nein.«
    »Was ist er dann für dich?«
    »Bitte, Antonina. Poschaluista «, sagte Lydia schnell und stieg in ihrer Aufregung eine Stufe der Treppe hinab. Der Wachposten kam näher. »Ich brauche nur ein einziges Wort von dir. Bitte, Genossin.«
    Plötzlich ging ein Beben durch den Zug, die Lok gab ein lautes Ächzen von sich und stieß eine Dampfwolke aus, die wie ein Wattebausch über dem Bahnsteig schwebte. Einen verblüffenden Moment lang wurde die Frau des Kommandanten von der Wolke verschluckt, die alles von ihr verdeckte bis auf die beiden Hände, die sich unablässig kratzten. Als der Dampf sich lichtete, hatte Antonina Lydia bereits den Rücken gekehrt, und die längliche Pelzfläche des Rückens schwang hin und her, als steckten noch Tiere in den Fellen.
    » Njet , Lydia.« Sie ging davon und rief noch einmal über ihre Schulter hinweg: »Meine Antwort ist nein.«
    Der Soldat schloss die Tür, und der Zug setzte sich in Bewegung. Schnell öffnete Lydia eines der Fenster und beugte sich hinaus. »Ich werde in der Pension in Felanka wohnen«, rief sie der Frau hinterher. »Dort kannst du mir eine Nachricht hinterlassen.«
    Ganz langsam wurden die Gestalten auf dem Bahnsteig kleiner. Lydia starrte noch lange an die Stelle zurück, wo sie gestanden hatten, auch als der Regen sie längst verschluckt hatte.

SIEBEN

    J o b twoju mat!« , fluchte Liew Popkow plötzlich und reckte die Faust in Richtung Fenster. »Schaut euch das an. Da ist ja das stinkende Rattenloch.«
    Alexej sah, wie Lydia ihn hart in die Seite stieß, um ihn zum Schweigen zu bringen, doch es war zu spät. Jeder Kopf in ihrem Zugabteil drehte sich in die Richtung, in die er gezeigt hatte, und eine

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