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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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Ladens liegen blieb. Lydia konnte sich ein wehmütiges Lächeln nicht verkneifen. Ja, im Stehlen war sie richtig gut gewesen.
    Abrupt löste sie den Blick von der Schwärze da draußen und wandte sich ihrem eigenen Spiegelbild in der Glasscheibe zu. Sie verzog das Gesicht. Die Mütze war wirklich schrecklich, ein braunes Ungetüm aus Wolle, in dem sie aussah wie ein Pavian. Sie war froh, dass Chang An Lo sie nicht damit sehen konnte. Sie seufzte und hörte, wie die Angst in ihr knisterte, wenn sie tief Luft holte. Sie war siebzehn, er neunzehn, fast zwanzig. Würde ein Mann denn ewig warten? Sie wusste es nicht. Er liebte sie von ganzem Herzen, dessen war sie sich sicher, aber … Angesichts ihrer Naivität stieg ihr die Schamesröte ins Gesicht. Wie lange konnte ein Mann ohne Frau sein? Einen Monat? Ein Jahr? Zehn Jahre?
    Sie wusste, sie würde ihr Leben lang auf ihn warten, wenn es sein musste. War es das, was ihr Vater getan hatte? Jahr um Jahr in diesem Arbeitslager gesessen und darauf gewartet, dass ihre Mutter kam?
    Plötzlich riss sich Lydia die Mütze von den Haaren und schüttelte wild den Kopf. Eine Flut kupferroten Haares ergoss sich über ihre Schultern, wogte um ihr Gesicht. Auf einmal war da wieder diese Wildheit in ihr, die sie mochte. Eine Löwin hatte jemand sie einmal genannt. Sie fuhr mit den Fingernägeln über das Fenster, als wollte sie ihre Krallen schärfen, zog Furchen durch den Dunstnebel, den ihr Atem auf dem Glas hinterlassen hatte.
    Es war kurz vor Morgengrauen. Lydia beobachtete, wie sich die tiefe Dunkelheit in ein blasses, durchscheinendes Grau verwandelte. Bäume zeichneten sich vor dem Himmel ab. Langsam wurde die Welt wieder zur Wirklichkeit.
    Sie folgte dem düsteren Korridor bis zu dem winzigen Waschraum am Ende. Drei Fahrgäste standen bereits davor Schlange. Russen, das hatte sie bereits bemerkt, waren gut im Schlangestehen, besser als die Chinesen. Während sie sich gegen die Holzpaneele des Flurs lehnte und spürte, wie ihr das gleichmäßige Rattern der Zugräder wie ein Beben durch Mark und Bein ging, wanderte sie in Gedanken zurück zu der Frau in ihrem Zugabteil, diejenige, die sie gefragt hatte, woher sie komme. Irgendwie machte sie Lydia nervös.
    Schnelle, leise Schritte kamen auf den Waschraum zugehuscht. Lydia war bereits auf den zweiten Platz in der Schlange vorgerückt. Nicht, dass sie es besonders eilig hatte, das beengte Vestibül zu betreten, doch sie wollte einfach ihre Rückkehr ins Abteil hinauszögern. Die Schritte hörten auf. Als Lydia sich umschaute, sah sie zu ihrem Erstaunen vier Frauen und ein Kind, die sich hinter ihr angestellt hatten – wann waren sie gekommen? – und allesamt geduldig warteten, allem Anschein nach Landarbeiterinnen mit schweren Kopftüchern, Schals und den breiten, grobknochigen Händen von Menschen, die im Schweiße ihres Angesichts auf den Feldern schufteten. Ihre Gesichter waren verschlossen, fast verstockt. Das Kind, ein kleiner Junge mit Mütze, lutschte an seinem Daumen und machte dabei leise Nuckelgeräusche. Hinter ihm stand die Person, die sich zuletzt angestellt hatte. Ohne es zu wollen, zuckte Lydia vor Überraschung zusammen. Es war Antonina, die Frau des Lagerkommandanten, eingemummelt in ihren silbrigen Pelzmantel.
    » Dobroje utro , Genossinnen«, sagte der Neuankömmling. »Guten Morgen allerseits.« Sie nickte Lydia zu.
    Die Frauen starrten sie an, als wäre sie eine aufgeplusterte Elster. Eine brummte: »Dobroje utro« , und blickte zu Boden. Die anderen schwiegen. Als der kleine Junge sie mit seinem schmuddeligen Händchen am Mantel berührte, machte sie einen Schritt zurück. Sie trug wieder ihre grauen Handschuhe und begann die Hände zu reiben und zu kneten, als wäre ihr etwas unangenehm.
    »Genossinnen«, sagte sie, doch ihre Munterkeit hatte Sprünge bekommen. »Bei mir ist es dringend.« Ihr Lächeln war förmlich und gelangte nicht bis zu den Augen. »Meint ihr, ihr könntet …«
    Die Frauen in der Schlange drehten sich zu ihr um.
    »Njet.«
    »Warte, bis du dran bist.«
    »Mein Kleiner muss auch dringend, aber er beschwert sich nicht. Du solltest es besser wissen.«
    Antoninas Augen blinzelten. Ihr Mund wirkte zart und zerbrechlich. Sie schüttelte den Kopf, und während eine Hand die andere zu kratzen begann, breitete sich ein schmaler, blutroter Fleck auf dem weißen Baumwollstoff aus.
    »Genossin Antonina«, sagte Lydia liebenswürdig und trat aus der Schlange. »Du kannst meinen Platz haben.«
    Die

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