Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
Vom Netzwerk:
junge Frau mit einem schlafenden Baby in den Armen begann leise zu weinen. Es war das Lager. Das Arbeitslager von Trowitsk. Etwas anderes konnte es nicht sein, obwohl es aus dieser Entfernung recht harmlos wirkte, mehr wie ein paar Hundezwinger, die sich direkt vor dem winterlichen Horizont abzeichneten. Das mussten die Giebel der Wachtürme sein, während das restliche Lager nur ein verschwommener Fleck in der Ferne war, verschwiegen und abgeschieden, viel zu weit weg, als dass irgendetwas von den Gemeinschaftsunterkünften oder vom Stacheldraht zu erkennen gewesen wäre.
    »Gott helfe diesen armen Teufeln«, murmelte Alexej.
    Die dicke Frau gegenüber von ihnen verzog das Gesicht. »Bislang hat er sich dabei noch nicht viel Mühe gegeben.«
    Lydia sah von einem zum anderen und runzelte die Stirn. Ihre lohfarbenen Augen waren riesig. Eine vorwitzige Haarsträhne hatte sich unter ihrer Mütze hervorgestohlen und lag wie eine Flammenzunge auf dem Kragen ihres Mantels. »Der Sowjetstaat kümmert sich um all diese Leute«, sagte sie kurz angebunden. »Er tut sein Bestes. Für alle von uns.«
    Ach, Lydia. Dennoch zeigte Alexej mit einem Nicken seine Zustimmung. » Da . Wir dürfen nie vergessen, was wir dem Staat verdanken.«
    »Als könnten wir das«, sagte die Dicke mit einem glucksenden Kichern, das schließlich zu einem ausgelassenen Lachen anschwoll, ihren wogenden Busen zum Beben brachte und in der Begrenztheit des Abteils viel zu laut wirkte. Alexej musterte sie mit wachsendem Argwohn.
    Am anderen Ende des Wagens schlug sich ein Mann mit Pfeife und buschigem Stalinschnurrbart mit der flachen Hand aufs Knie. »Diese Gefangenen sind aus gutem Grund hier. Lass uns das nicht vergessen, Genossin.«
    Wieder ließ Alexej den Blick zum Fenster schweifen, und ein Schreck durchfuhr ihn. Die Landschaft draußen war eintönig und flach, ein nacktes Gelände, in dem nur einige Erdfurchen und Baumstümpfe verrieten, dass es einmal bewaldet gewesen war. Doch weiter drüben auf einer Seite, am Rande eines kleinen Gehölzes aus Kiefern, das irgendwie den Axthieben entgangen war, zogen acht Männer tief gebeugt ein Fuhrwerk. Es war hoch beladen mit Baumstämmen, und die Männer waren mit Ketten an das Gefährt gefesselt. Hinter ihnen wuselten andere Männer wie Ameisen im Rodungsbereich umher.
    »Ja«, murmelte Alexej, ohne den Blick von dem Geschehen in der Ferne abzuwenden. »Deshalb sind wir hier. Das sind die Rohmaterialien, die wir brauchen.«
    »Für die Industrie?«, erkundigte sich die Frau.
    Er nickte. »Für Stalins großen Fünfjahresplan.«
    »Was machen denn dann all die Gefangenen hier oben?«
    Er beobachtete immer noch die Männer draußen. Sah, wie einer von ihnen hinfiel. »Sie arbeiten in den Minen. Diese Gegend ist reich an Eisenerz und Kohle.«
    Ein unbehagliches Schweigen senkte sich über die Zugreisenden, während sich alle jene Gefangenen dort draußen vorstellten, wie sie mit Gesichtern voller Kohlestaub irgendwo unterhalb der Räder ihres Zuges schufteten, mit Spitzhacken dem unterirdischen Kohleflöz zu Leibe rückten, während sich ihre Lungen mit dem erstickenden Staub füllten.
    »Und Holz«, fügte Alexej leise hinzu.
    Lieber Gott , dachte er, mach, dass Jens mit einer Säge umgehen kann .
    »Dieser Ort ist zu aufgeräumt für uns«, brummelte Liew Popkow vor sich hin. »Zu sauber.«
    Zur Abwechslung hatte der einfältige Ochse einmal Recht. Das Städtchen Felanka war nicht das, womit sie gerechnet hatten. Sie gingen die Uliza Gorki, die Hauptstraße, entlang und inspizierten den Ort. Wo waren die sonst so weit verbreiteten, hässlichen Plattenbauten? Die meisten Städte hier oben im Norden waren ausgedehnte, gesichtslose Siedlungen, die angelegt worden waren, um für die russischen Dissidenten, deren Umsiedelung in diese wenig bevölkerten Landstriche seit geraumer Zeit erzwungen wurde, Unterkünfte zu schaffen. Niemandem würden hier ein paar Reisende mehr auffallen. Doch dieser Ort war anders. Man hatte das Gefühl, dass die Menschen gerne hier lebten.
    Elegante Gebäude säumten breite, gepflegte Boulevards, und überall sah man verschnörkeltes Beiwerk aus Schmiedeeisen. Balkons und Straßenlaternen, Tür- und Fensterrahmen, allerorten wanden und schlängelten sich diese Zeugnisse heimischer Schmiedekunst. Felanka war auf Eisenerz gebaut, es lebte und es atmete dieses Material. Etwas westlich des Ortes lag die Gießerei, ein wuchtiger Backsteinbau, der sich wie eine riesige schwarze Schildkröte

Weitere Kostenlose Bücher