Die Sehnsucht der Konkubine
Zeichen sandten. Im Westen habe man längst verlernt, sie zu erkennen, sagte Chang und hatte ihr beigebracht, sie mit ihrem Füchsinnengeist zu erspüren.
»Lydia, es gibt nicht so etwas wie ein …«
»Natürlich gibt es das.« Sie drehte die kleine Scheibe herum. »Sieh doch das Feuer darin. Es passt zu mir. Begreifst du das nicht? Es bedeutet, dass ich hier sein soll. Das Omen brennt so hell, dass es nur eins bedeuten kann: Der Erfolg ist uns vorherbestimmt.«
Alexej war mitten auf der Straße stehen geblieben und starrte sie an, pure Ungläubigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Doch ihr entging auch nicht das Lachen in seinen Augenwinkeln.
»Also«, sagte sie. »Soll ich dir jetzt erzählen, was für eine Idee ich habe?«
»Die Antwort lautet immer noch nein.«
Lydia stand alleine in ihrem Schlafzimmer im Gästehaus. Ihre Glieder waren noch zu steif, um sich einfach im Bett zusammenzurollen und Zuflucht im Schlaf zu suchen. Es war, als nähmen sie mittlerweile Befehle von Alexej entgegen statt von ihr selbst. Seine Worte hallten nach wie vor in ihr wider, mit einer Hartnäckigkeit, die sie so nervös machte, dass sie ihre Wollmütze zur Hand nahm und begann, daran herumzunesteln und Fäden herauszuzupfen. Dabei hätte sie das am liebsten mit Alexej gemacht, Faden für Faden.
Die Antwort lautet immer noch nein.
Das hatte er gesagt, wieder und wieder. »Ich werde es nicht zulassen, dass du ganz alleine irgendwo unterwegs bist. Die Antwort ist nein.«
Ihr Plan war schnörkellos und ganz einfach gewesen: Während er und Popkow die nächsten Tage oder Wochen – je nachdem, wie lange es dauern würde – damit verbringen würden, die Hintergassen und Kneipen zu durchforsten, bis sie bestechliche Arbeiter oder Wärter gefunden hatten, würde sie zum Bahnhof zurückkehren und versuchen, an eine Fahrkarte zu gelangen, mit der sie zurück, wieder in Richtung Seljansk, fahren könnte.
»Warum?«, hatte er gefragt, die Augen zusammengekniffen. »Was für einen Sinn hätte das?«
»Um noch einmal am Außenbereich des Arbeitslagers vorbeizufahren.«
Alexej hatte scharf ausgeatmet, ein leises, pfeifendes Geräusch, das er, wie sie bemerkt hatte, nur machte, wenn ihn ein starkes Gefühl übermannte, mit dem er nicht gerechnet hatte. Das hätte ihr eine Warnung sein müssen.
»Siehst du«, fuhr sie rasch fort, »ich könnte ja vielleicht eine Möglichkeit finden, eine Nachricht in das Lager zu schmuggeln. Jetzt, da wir wissen, dass diese Züge auch Gefangene transportieren, könnte es gut sein, dass ich mit einem in Kontakt komme und …« Sie bremste ihren Redefluss, damit ihr Bruder ihr besser zuhörte. Unordnung hasste er, das wusste sie. »Er könnte sich nach Papa erkundigen … nach Jens Friis … und ihm sagen, er könnte vielleicht …«
»Könnte … könnte …«
Sie spürte, wie ihr vor Zorn das Blut in die Wangen stieg. »Du und Popkow, ihr könntet Erfolg beim Bestechen der Wachsoldaten haben, und die könnten euch schnurstracks selbst ins Arbeitslager bringen, und dann bliebe ich hier mutterseelenallein zurück. Auch das«, hatte sie gesagt und ihre Hand von seinem Arm weggezogen, » könnte passieren. Und dann?«
Sie standen auf einer schmalen Straße vor einem Haus, dessen Läden nur noch schief in den gebrochenen Angeln hingen. Das Dach war unregelmäßig gedeckt. Dunkelheit sank in seltsam geformten Schatten über die Straße herab, auf der ein paar Pferdefuhrwerke vor sich hin zockelten.
»Lydia.« Er machte keine Anstalten, wieder nach ihrer Hand zu greifen. »Wir müssen alle drei auf der Hut sein. Hör mir zu. Ich kann meinem Vorhaben nicht ordentlich nachgehen, wenn ich ständig über die Schulter schaue und mir Sorgen mache, was für einen Schabernack du dir wieder ausgedacht haben magst.«
»Schabernack?«
»Nenn es, wie du möchtest, aber willst du denn nicht begreifen, dass ich derjenige sein muss, der hier in der Stadt Erkundigungen einzieht?«
»Warum? Weil du ein Mann bist?«
»Ja.«
»Das ist nicht richtig.«
»Mit Richtig oder Falsch hat das nichts zu tun, Lydia. So ist es einfach. Du bist ranimaja, einfach weil du eine Frau bist, und …«
»Was bedeutet ranimaja ?« Sie hasste es, nachfragen zu müssen.
»Es bedeutet verletzlich.«
»Na ja, dann haben ja die Kommunisten vielleicht doch Recht.«
Er musterte ihr Gesicht mit solcher Intensität, dass sie fast weggeschaut hätte.
»Und was genau«, fragte er, »meinst du damit?«
»Dass die Kommunisten den Frauen
Weitere Kostenlose Bücher