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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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sie geschmeckt, wie Säure in ihrem Mund. Und dann war einer der Männer hingefallen und nicht wieder aufgestanden.
    Papa, ich muss dich finden. Bitte, bitte Papa, lass es nicht dein abgemagerter Körper sein, nur in Lumpen gehüllt.
    Ganz plötzlich war der Zorn verschwunden, und sie spürte nur noch die Tränen, die ihr über die kalten Wangen liefen.
    Als es an der Tür klopfte, blickte Lydia auf. Sie hatte Mantel und Mütze abgelegt und kniete neben dem Bett, damit beschäftigt, ihre Reisetasche auszuräumen.
    »Herein!«, rief sie.
    Die Tür ging auf, und eigentlich hatte Lydia mit einer neuen Mitbewohnerin gerechnet, die das andere Bett für sich in Anspruch nehmen wollte, doch sie täuschte sich. Es war Popkows Freundin, die dicke Frau mit dem glatten, strohblonden Haar, die aus dem Zug, die zu viele Fragen stellte. Was hatte er gesagt, wie sie hieß? Irina? Nein, Elena, das war’s.
    » Dobry wetscher , Genossin«, sagte Lydia höflich. »Guten Abend.«
    » Dobry wetscher. Ich dachte, vielleicht langweilst du dich hier allein.«
    »Nein, ich habe zu tun.«
    »Das sehe ich.«
    Die Frau machte gar nicht den Versuch, das kleine Zimmer zu betreten. Stattdessen lehnte sie sich mit einer ihrer fleischigen Schultern gegen den Türrahmen und paffte weiter an ihrem Zigarrenstummel, den sie elegant zwischen den Fingern balancierte. Lydia hielt beim Ausbreiten ihrer Habseligkeiten auf der Tagesdecke inne und betrachtete ihre Besucherin.
    »Das mit deinem Sohn tut mir leid.«
    Das Gesicht der Frau wurde finster. »Liew redet zu viel.«
    » Da . Er ist ein richtiges Plappermaul«, sagte Lydia, ohne eine Miene zu verziehen.
    Die Frau blinzelte und lächelte dann. Das würzige Aroma des Zigarrenrauchs wehte durch das Zimmer. »Mach dir keine Sorgen, er hat mir nichts erzählt, das dir schlaflose Nächte bereiten könnte. Nur dass ihr aus China herübergekommen seid und nach jemandem sucht.«
    »Das ist mehr als genug, Genossin. Es ist genau eine Tatsache mehr als das, was ich über dich weiß, und deshalb stelle ich dir jetzt eine Frage.«
    »Klingt nur gerecht.«
    »Was willst du von Liew Popkow?«
    »Was will eine Frau wohl von einem Mann?«
    Elena schwang lasziv die Hüften, steckte sich die Zigarre in den Mund und sog so heftig daran, dass die Spitze rot aufglühte. Lydia wandte den Blick ab. Sie faltete ihre beiden Röcke zusammen, den marineblauen und den grünen aus schwerer Wolle, und legte beide in einem ordentlichen Stapel neben zwei Paar zusammengerollte Socken, drei Handtücher, ein Buch und einen kleinen Stoffbeutel aus Baumwolle.
    »War dein Sohn im Lager?«, fragte sie, ohne aufzublicken.
    »Ja.«
    »Das tut mir leid.«
    »Braucht es nicht.«
    Etwas an der Art, wie die Frau das gesagt hatte, veranlasste Lydia, doch den Blick zu heben. Elenas Gesicht war vollkommen ausdruckslos.
    »Er gehörte zum Wachpersonal«, erklärte sie mit tonloser Stimme. »Einer der Gefangenen hat ihn mit einer Glasscherbe getötet. Ihm die Kehle aufgeschlitzt.«
    Lydia sah das Blut vor sich, das in einem gewaltigen Schwall aus der klaffenden Wunde des Sohnes quoll, sah, wie der junge Mann sich mit erschrocken aufgerissenen Augen an den Hals griff. War Jens dort? Hatte er gesehen, wie es passierte? Hatte vielleicht er die Glasscherbe als tödliche Waffe geführt? Denn wer auch immer das getan hatte, war bestimmt mittlerweile ein toter Mann. Ein plötzlicher Schmerz stieg in Lydia auf. Wieder und wieder faltete sie einen der Röcke, zog eine Haarbürste aus ihrer Tasche. Sie war nichts Besonderes, einfach nur eine Holzbürste mit einem zersprungenen Griff, aber sie hatte ihrer Mutter gehört. Lydia legte sie in eine Reihe neben die Schere und den Beutel.
    »Dein Sohn war also Gefängniswärter«, flüsterte sie und wandte den Kopf ab. Mit einem leisen Zischen spuckte sie auf den Boden.
    Die Frau nickte. Alle Weichheit war aus ihrem Blick geschwunden. »Ich weiß, er hat immer damit rechnen müssen.« Sie gab einen leisen Seufzer der Verzweiflung von sich. »Gott allein weiß, was der Scheißkerl den Männern dort angetan hat.«
    Draußen fuhr mit einem lauten Rumpeln ein Lastwagen vorbei. Sein Scheinwerferlicht bohrte sich in die Dunkelheit und beleuchtete kurz das Zimmer.
    »Aber es muss schwer sein, einen Sohn zu verlieren«, sagte Lydia. »Es tut mir leid.«
    »Mir nicht.«
    »Eltern würden doch nie ein Kind verlieren wollen.«
    »Sei dir da nicht so sicher.«
    Lydia konzentrierte sich auf ihre Reisetasche und holte einen Block

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