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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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mehr Gleichheit zubilligen. Sie erkennen uns einfach mehr an, und …«
    Ein kleines Kind mit einem Schopf fettiger Löckchen und Rotznase, dessen Geschlecht unmöglich zu erkennen war, tauchte urplötzlich vor Lydias Knien auf. Aus braunen Augen starrte es zu ihr empor, mit einem Ausdruck hündischer Hoffnung, doch als sie ihm zulächelte, wich es auf unsicheren Beinchen vor ihr zurück und begann an seinem schmutzigen Daumen zu lutschen.
    »Wir fallen auf«, murmelte Alexej.
    Er stieß einen ungehaltenen Seufzer aus, der Lydia verärgerte, und schaute die Straße entlang, wo in einem der Häuser ein Mann aus dem Fenster schaute und Pfeife rauchte. Seine Brille war notdürftig mit schwarzem Klebeband geflickt, und er musterte die beiden Fremden mit ruhigem Interesse. Alexej packte Lydia am Oberarm und versuchte, sie zum Weitergehen zu bewegen, doch sie sträubte sich, riss sich los und hockte sich stattdessen vor das Kind. Sie zog eine Münze aus ihrem Rock, nahm das schmutzige Händchen, das nicht mit Daumenlutschen beschäftigt war, in die Hand und schloss die kleinen Finger um den Rubel. Sie fühlten sich so kalt und glitschig an wie Fisch.
    »Für etwas zu essen«, sagte sie und lächelte sanft.
    Das Kind sagte nichts. Doch plötzlich rutschte ihm der Daumen aus dem Mund, und es fuhr mit dem Händchen über Lydias Haar, an ihrem Kinn vorbei, bis zum Hals hinab, ganze zwei Mal. Lydia fragte sich, ob das Kind vielleicht damit gerechnet hatte, dass die Strähnen glühend heiß wie Feuer waren. Ohne einen Laut drehte sich das kleine Ding dann um und tapste mit überraschender Geschwindigkeit auf eine Tür zu, die drei Häuser weiter offen stand. Lydia richtete sich auf und trat zu ihrem Bruder. Seite an Seite, aber ohne sich dabei zu berühren, gingen sie und Alexej mit raschen Schritten die Straße entlang.
    »Wenn du jedem schmutzigen Straßenkind, über das wir in den Gassen hier stolpern, Geld gibst«, murmelte er, »bleibt uns nichts mehr für uns selbst.«
    Lange Zeit schritten sie in unbehaglichem Schweigen dahin, doch als sie wieder an dem Park vorbeikamen, durch den noch immer der Wind fegte und Zeitungsblätter aufwirbelte, sagte Lydia plötzlich barsch: »Das Problem mit dir, Alexej, ist, dass du nie arm gewesen bist.«
    Bei ihrer Unterkunft trennten sie sich mit wenigen Worten. Es war eines der neuen Gebäude, die gänzlich ohne schmiedeeiserne Verzierungen auskamen, gesichtslos und vollkommen nichtssagend. Wie viele andere in der Stadt war die Pension errichtet worden, um die zahlreich zugezogenen Arbeitskräfte zu beherbergen, doch sie war sauber und anonym, was ihnen beides nur recht war.
    In der Eingangshalle hatte jemand einen großen Spiegel aufgehängt, der viele Stockflecken hatte. Lydia sah sich selbst und Alexej im Spiegel, und es überraschte sie, dieses Bild, denn sie wirkten beide so … Sie suchte nach dem richtigen Wort, gab es im Russischen auf und verlegte sich schließlich auf … unpassend. Erschrocken wurde ihr bewusst, wie sehr sie beide hier auffielen. Obwohl Alexejs schwerer Mantel in jeder Hinsicht perfekt saß und auch die Art und Weise, wie seine Handschuhe an zwei Fingern geflickt waren, vollkommen in Ordnung war – sie hatte den Verdacht, dass er den Riss absichtlich verursacht und dann selbst genäht hatte –, passte wirklich nichts an ihm zu dem trostlosen Foyer. Alles hier war schlicht und zweckmäßig, während Alexej selbst in einem zerschlissenen Übermantel schnittig und elegant wirkte. Er war wie die schmiedeeisernen Verzierungen draußen: ein kleines Kunstwerk, das alle Blicke magisch auf sich zog.
    Der Gedanke beunruhigte sie. Zum ersten Mal fragte sie sich, ob Liew Popkow Recht hatte. Alexej konnte für sie eine Gefahr darstellen, weil die Leute ihn bemerkten. Trotzdem würde er heute Abend wieder durch die zwielichtigen Gegenden der Stadt ziehen und Fragen stellen. Am liebsten hätte sie ihn gebeten, es nicht zu tun. Tu’s nicht. Man wird dir vielleicht wehtun.
    »Alexej«, sagte sie leise. »Sorg dafür, dass dir Popkow heute Abend nicht von der Seite weicht.«
    Er hob eine Augenbraue. Das war alles.
    »Vielleicht brauchst du ihn«, beharrte sie.
    Doch er achtete gar nicht auf sie, und sie wusste, dass er ihr immer noch wegen ihres Planes, auf eigene Faust zu dem Lager von Trowitsk zurückzukehren, gram war. Er war einfach zu arrogant, sich von seiner kleinen Schwester sagen zu lassen, was er zu tun hatte. Nun, dann sollte er zur Hölle fahren. Sollten sie ihn

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