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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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wir etwas überstürzen und …«
    »Ich weiß.«
    Einen Moment lang ließ er die Stille auf sie wirken, ohne dabei ihren Arm loszulassen. Sie spürte die Kraft der Hand, die da auf ihrem Handgelenk lag, und die Stärke des Geistes, der sie kontrollierte.
    »Alexej.«
    »Was denn?«
    »Glaubst du, dass Jens einer dieser Gefangenen war?«
    Sie spürte, wie sich ein Muskel in seiner Hand anspannte, hörte, wie Alexej Luft holte. »Du meinst von denen, die den Wagen mit den Baumstämmen zogen?«
    »Ja.«
    »Das ist unwahrscheinlich.« Seine Stimme klang so ruhig, als redeten sie nur darüber, ob es wohl bald regnen würde.
    »Ich hatte den Eindruck, einer der Männer hatte rotes Haar.«
    »Nein, Lydia, sie waren viel zu weit weg, um das erkennen zu können. Das ist Wunschdenken. Außerdem ist das Haar vielleicht gar nicht mehr rot.«
    Sie schauten sich an und gingen schweigend weiter. Jetzt wurde die Straße schmaler und das Viertel ärmlicher. Die schmucken Backsteinhäuser waren Holzhäusern gewichen, die schäbig aussahen. Ein honigfarbener Mischlingshund saß winselnd in einem Türrahmen, als sie vorübergingen.
    Wunschdenken .
    Wünschen. Denken. O ja, Papa, Alexej hat Recht. Ich wünsche es dir, und ich denke an dich … und ich habe Angst um dich. Mir gefriert das Blut in den Adern, wenn ich mir dich vorstelle, einen Wikinger mit grünen Augen, wie du dazu verdammt bist, in einer dieser Minen unter Tage zu arbeiten.
    »Der Mann, der diese Stadt gebaut hat, war ein Visionär«, unterbrach Alexej sie in ihren Gedanken. Er hatte sich von ihr abgewandt, weshalb sie nur sein Profil sehen konnte, doch um seinen Mund lag ein anerkennendes Lächeln.
    »Was meinst du?« Für die Stadt interessierte sie sich nicht.
    »Sein Name war Leonid Wentow.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich habe Nachforschungen angestellt. Wenn man sich auf eine Schlacht vorbereitet, muss man vorher das Gelände erkunden.«
    Für Sätze wie diesen liebte Lydia ihn, denn er schenkte ihr damit ein Gefühl der Sicherheit. Sie drückte seinen Arm. »Erzähl mir mehr von diesem Leonid Wentow.«
    »Er war ein Industrieller aus Odessa gegen Ende des letzten Jahrhunderts. Er hat sich eine goldene Nase verdient mit dem, was er hier in dieser kalten, schwarzen Erde entdeckt hat, nämlich riesige Vorkommen von Kohle und Eisenerz, aber er war ein streng religiöser Mann. Statt also einfach nur das Land auszuplündern, bis es leer und nutzlos ist, hat er diese Stadt Felanka gebaut, sozusagen als schön gestaltetes Dankeschön an seinen Gott. Er hat auch versucht, andere aus der wachsenden Gruppe wohlhabender Industrieller davon zu überzeugen, das Gleiche an anderen Orten in Russland zu tun, aber …« Alexejs Stimme erstarb.
    Lydia spürte, wie sich seine Aufmerksamkeit plötzlich auf etwas anderes richtete. Während sie aus dem Schatten einer Häuserreihe traten, sah sie, was sein Interesse auf sich gezogen hatte. Vor ihnen, am Stadtrand, erstreckte sich eine flache, öde Landschaft, die vollkommen verlassen war bis auf eine breite, holprige Straße, die direkt zu der Eisengießerei in etwa einer halbe Meile Entfernung führte. Der Backsteinbau wirkte geduckt und unwirtlich, als wartete er nur darauf, dass es Nacht wurde, um sich im Schutze der Dunkelheit näher an die Stadt heranzuschleichen. Die Schornsteine der Gießerei reckten sich wie dürre Finger in den scharlachroten Himmel empor und spuckten einen dicken, schwarzen Rauch aus. Die Luft hatte einen säuerlichen Beigeschmack und brannte in der Nase.
    Lydia betrachtete die Anlage mit Interesse. »Hierher bringen wir ihn also?«
    » Da . Sobald wir Jens aus dem Lager bekommen haben, müssen wir ihn verstecken. Was für einen besseren Platz gäbe es da als eine Gießerei, in der geschwärzte Gesichter und ständige Schichtwechsel an der Tagesordnung sind? Inmitten dieser riesigen Menge von Metallarbeitern würde er nicht weiter auffallen. Aber zuerst einmal …«
    »Müssen wir einen Arbeiter finden, der bereit ist, ihn dort einzuschleusen.«
    »Genau. Und damit fangen dein Kosak und ich heute Abend an.«
    »Alexej?«
    Ihre Schritte wurden langsamer, und schließlich blieben sie am Rande der gefrorenen Landschaft stehen, die sich meilenweit in alle Himmelsrichtungen erstreckte. Nur die Gießerei selbst war in einer Senke erbaut worden, als hätte ihrem Schöpfer etwas daran gelegen, sie so weit wie möglich außer Sicht zu halten, weil sein Gott so sehr an die Herrlichkeit der Schöpfung gewöhnt war, dass

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