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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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Augenbrauen vor Konzentration zusammengezogen.
    »Was ist denn in Felanka, das so wichtig ist?«
    »Eine Angelegenheit, die auf mich wartet.«
    Er hob den Blick. »Du meinst, ein Mädchen, das auf dich wartet?«
    »Nein, nicht so ein Mädchen. Es ist meine Schwester. Sie ist in Felanka.«
    »Ach, mein Freund, dann besteht keine Eile. Eine Schwester kann warten.«
    Kannst du das, Lydia? Kannst du warten?
    Lydia blieb gar nichts anderes übrig als zu warten. Trotz ihres hartnäckigen, täglichen Klopfens an den Schalter des Bahnhofsvorstehers dauerte es ganze zwei Wochen, bis sie endlich einen Platz im Zug zurück nach Felanka ergattern konnte. Was sie überraschte, war, wie leicht es ihr fiel, den Tag herumzubringen. Sie hatte damit gerechnet, dass sie ungeduldig in der Stadt umherlaufen würde, nervös und fahrig, doch so war es nicht. Sie war ganz ruhig. Und sie wartete – auf einem Bahnsteig, in einem Park, in einem Hotelzimmer.
    Sie brachte sich selbst das Stillsitzen bei.
    Als der Zug endlich in den Bahnhof einfuhr, war das Abteil voll, doch diesmal mit mehr Frauen als Männern. Die Gespräche drehten sich um die mangelhafte Lebensmittelversorgung in den Läden. Vor dem Einsteigen hatte Lydia eine Gruppe Gefangener gesehen, die, an eine Kette gefesselt, in letzter Minute in den Gepäckwaggon einstiegen, doch wurden sie so sorgfältig bewacht, dass es unmöglich war, sich ihnen zu nähern. Ihre Köpfe waren der Läuse wegen bereits geschoren, ein Anblick, der Lydia mit Entsetzen erfüllte, denn ihren Papa ohne seinen wilden Lockenschopf konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Ihr fiel ein junges Mädchen auf, ganz klein und schmal, das neben ihr im Abteil saß. Sie reiste allein und war in etwa so alt wie Lydia, wirkte durch ihre Zerbrechlichkeit jedoch jünger. Lydia zog eine spitze Papiertüte mit Sonnenblumenkernen aus der Tasche, die ihr Elena zugesteckt hatte, und bot ihr davon an.
    »Hunger?«, fragte sie das Mädchen.
    »Da.« Sie nahm eine Hand voll. Ihr Gesicht war mager und nervös. » Spassibo.«
    »Hast du eine weite Reise vor dir?«
    »Nach Moskau.«
    »Das ist in der Tat weit. Aber es muss aufregend für dich sein.«
    »Ja, weißt du, ich habe einen Preis gewonnen. Ich war in meiner Fabrik die Schnellste im Herstellen von Kupfertöpfen. Dafür habe ich auch einen Orden bekommen.«
    Lydia blinzelte erstaunt. »Das gibt’s?«
    » O ja, natürlich. Arbeiter werden immer für ihren Arbeitseifer belohnt. Manchmal sogar von Stalin persönlich.« Ihre jungen Augen leuchteten vor Vorfreude. »Es soll eine große Ordensverleihung in der Heldenhalle geben.«
    »Glückwunsch. Deine Familie ist bestimmt sehr stolz.«
    »Das sind wir, aber man hat mir gesagt, Moskau ist sehr gefährlich.«
    Lydia schaute sie voller Interesse an. Wusste das Mädchen denn nicht, dass es im stalinistischen Russland überall gefährlich war?
    »Wie meinst du das?«, erkundigte sie sich.
    Das Mädchen beugte sich zu ihr, ihre Augen waren ganz groß. »Die Stadt ist voller Krimineller.«
    Lydia lachte. Sie konnte nicht anders. »Alle Städte sind voller Krimineller, ganz gleich, wohin du gehst. Es ist immer dasselbe.« Sie bemerkte, dass ein Mann im Arbeitsanzug, der weiter hinten bei ihnen auf der Holzbank saß, ihr unverhohlen zuhörte. Schnell fügte sie hinzu: »Aber ich weiß, Genosse Lenin hat uns gelehrt, alles zu teilen, was wir haben, selbst unsere Wohnung. Das Verbrechen ist nicht mehr nötig. Nicht, wie es unter dem ausbeuterischen System der Bourgeoisie war.«
    Sie lächelte fast. Ihr Bruder wäre stolz auf sie gewesen. Siehst du, Alexej, ich lerne. Ich lerne wirklich.
    Das Mädchen erwiderte nichts, kaute nur auf den Sonnenblumenkernen herum und blickte dann durch den Vorhang ihres dünnen, blonden Haares seitlich zu Lydia. »Die sind ganz bekannt«, murmelte sie. »Mit Tätowierungen. Eine kriminelle Vereinigung. Die wory w sakone, so heißen sie. Diebe im Gesetz.« Sie senkte die Stimme zu einem schwachen Flüstern. »Deshalb macht es mich auch so nervös, nach Moskau zu fahren.«
    Eine kriminelle Vereinigung? Tätowierungen?
    Nein, nicht schon wieder. Nicht schon wieder wie in China. Lydia klopfte das Herz bis zum Hals. Gott sei Dank war sie nicht nach Moskau unterwegs.
    »Ich bin mir sicher, dass man sich dort gut um dich kümmert«, sagte sie mit einem beruhigenden Lächeln und tätschelte das Mädchen am Arm. »Bei jemand so Besonderem wie dir sorgt man bestimmt dafür, dass dir nichts passiert.«
    Der Ausdruck

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