Die Sehnsucht der Konkubine
Beginn des Treffens in dieses innere Heiligtum vorgelassen, und er wusste, es würde noch lange andauern, nachdem er gegangen war. Die Namen der anderen Männer hatte man ihm nicht gesagt, trotzdem spürte er die Feindseligkeit in vielen Blicken, die in seine Richtung geworfen wurden, so scharf wie Wespenstiche in seinem Gesicht. Er war jung. Mao schenkte ihm Gehör. Er stellte eine Bedrohung dar.
Mao strich sich mit der Hand über die große Stirn, als wollte er die Umrisse der Gedanken in seinem Schädel ertasten. Die Hände eines Mädchens, bemerkte Chang, weichlich und milchweiß.
»Wie wird das gemacht, die Eidechsenhaut?«, wollte Mao von Han-tu wissen.
Als wüsste er es nicht ganz genau.
»Die Klinge wird gewetzt, bis sie so hauchdünn ist wie ein Haar«, erklärte Han-tu in der gleichen tonlosen Stimme, »und an tausend Stellen im Gesicht und am Körper unter die Haut geschoben, so dass die Haut beim Abheilen aussieht wie die Schuppen eines Reptils. Es ist ein Zeichen für andere. Eine blutige Warnung, dass …«
Mao leckte sich über die Lippen, und seine Zunge war schneller als die einer Schlange. Chang versuchte, die Worte Han-tus auszublenden, und stieß langsam den Atem aus, um die Bilder aus seinem Kopf zu verdrängen. Süchtig. So lautete das Gerücht, das man sich in den dunklen Ecken der kommunistischen Unterschlüpfe und der schwülheißen Luft der Folterkeller zuraunte. Mao war süchtig nach Gewalt. Selbst inmitten der Laken, die er mit den jungen Mädchen teilte, welche für seine Gunst Schlange standen, solange seine liebreizende Frau Gui-yuan nicht an seiner Seite war. Keine seiner Ehefrauen hatte es bisher lange ausgehalten, obwohl sie ihm einen ganzen Stall Söhne geschenkt hatten.
Was für ein Herrscher würde dieser Mann sein, wenn er China endlich sein Eigen nennen konnte? Denn Chang hegte keinen Zweifel daran, dass die Kommunisten die Nationalisten vertreiben und Tschiang Kai-schek wie einen geprügelten Köter mit eingeklemmtem Schwanz im Meer versenken würden. Nicht in diesem Jahr, vielleicht nicht einmal im nächsten. Doch irgendwann würde es geschehen. Chang glaubte mit Herz und Seele daran, doch würde Mao China auch die Gerechtigkeit und Gleichheit bringen, nach der es sich so sehnte? Die Bauern auf den Feldern dürstete es nach der Befreiung vom Joch ihrer Grundherren, und das war es, was die Kommunisten ihnen versprachen.
Doch würde Mao Tse-tung sie ihnen bringen? Er war ein intelligenter Mann, belesen, scharfsinnig, er hatte das Bett voller Bücher, dennoch …
»Chang An Lo, bist du noch bei uns?«
Chang neigte tief den Kopf und verfluchte sich für seine Dummheit. »Vergib mir meine Zerstreutheit, ehrenwerter Führer. Zu groß ist meine Ehrfurcht in solcher Gesellschaft.«
Mao schnaubte, und Chang wusste, dass er jetzt auf der Hut sein musste.
»Aber in Gedanken befinde ich mich immer noch im russischen Irrgarten und versuche herauszufinden, welch verschlungenen Pfaden der Verstand der Genossen dort drüben folgt.«
»Und zu welchen Schlüssen bist du gelangt, junger Genosse?«
»Dass die Russen entweder versuchen, China zu Grunde zu richten, indem sie den Bürgerkrieg verlängern und beide Seiten finanziell unterstützen, bis die sowjetische Armee nicht nur dazu in der Lage sein wird, die Mandschurei zu erobern, sondern auch andere nördliche Provinzen unseres Landes. Während wir uns damit abmühen, uns hier unten im Süden gegenseitig hinterherzujagen.«
»Oder?«
»Oder es gibt einen Verräter im Herzen des Politbüros in Moskau.«
Überall im Zimmer wurde nach Luft geschnappt, ein entsetztes Zischen ging durch den Raum. Han-tu schlug sich mit der flachen Hand klatschend aufs Knie. »Unsere letzte Delegation nach Moskau hat berichtet, Stalin sei mehr als bereit, uns für unseren Kampf gegen den nationalistischen Despoten noch größere Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich kann nicht glauben, dass man uns dort verraten würde …«
Mao richtete sich urplötzlich auf, und Han-tu verstummte.
»Der russische Bär war schon immer ein gefährlicher und unzuverlässiger Verbündeter.« Maos Gesicht war streng. »Ich möchte euch alle daran erinnern, dass er einmal solch große Kontrolle über unsere Kommunistische Partei Chinas hatte, dass er versuchte, uns mit den verräterischen Nationalisten Tschiang Kai-scheks zusammenzuschließen. Stalin glaubte, wir seien zu schwach, um die Macht in China an uns zu reißen, doch …« Hier stahl sich ein kaltes Lächeln
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