Die Sehnsucht der Konkubine
Kopf. Es war ein leichtes Schaukeln, aber definitiv ein Schaukeln.
»Wir sind auf einem Schiff«, sagte er.
»Korrekt. Die Rote Maid. «
»Deins?«
»Und wie das meins ist.«
Dieses meins hatte der Mann mit großer Zuneigung gesagt. Er schlug zärtlich mit der Hand gegen die Wand, so wie Alexej ein Pferd getätschelt hätte, und goss Kaffee in zwei Blechtassen. Er trug einen dicken Fischerpullover, der so aussah, als wäre er eine Weile nicht mehr gewaschen worden, und erst jetzt wurde Alexej bewusst, dass er ebenfalls einen solchen Pullover trug, grobe Socken und eine Hose, die er noch nie gesehen hatte. Argwöhnisch beobachtete er, wie sein Gastgeber sich wieder auf die Bettkante setzte und Alexejs Hand um die Tasse legte.
»Hier, trink, towarischtsch. Dann hast du wieder Eisen in den Adern.«
Zu Alexejs Schrecken fühlte sich sein Arm wie tot an, als er versuchte, die Tasse zu heben. Seine Hand zitterte, und er verschüttete etwas Flüssigkeit auf den Pullover, doch irgendwann gelang es ihm, die Tasse an seine Lippen zu heben. Der Kaffee war schwarz und stark und schien ein Loch in die weiße Wand zu brennen, die immer noch seine Sinne benebelte, aber er schmeckte gut. Wo bekam ein Fischer im stalinistischen Russland einen solchen Kaffee her, obwohl man in den Läden nur noch gähnend leere Regale vorfand? Er spürte, wie seine Sinne allmählich geweckt wurden, und atmete vorsichtig durch.
»Dein Name, Genosse?«, fragte er.
»Konstantin Duretin. Und deiner?«
»Alexej Serow.«
»Nun, Genosse Serow, was schwimmst du denn mitten im Winter im Fluss wie ein Fisch?«
»Fisch?«, Alexej runzelte die Stirn. Bilder stürmten auf ihn ein. Ein Schachspiel, eine Pfeife mit langem Rohr. Eine Kurve, dahinter die Brücke.
Großer Gott, die Brücke. Männer, die aus allen Richtungen kamen. Auf einmal war alles wieder da. Er fasste sich an die Seite und spürte dicke Bandagen.
Die blauen Augen lächelten ihn nach wie vor an, doch jetzt nachdenklicher. »Ich hab das Beste für dich getan. Warst so gut wie tot. Hab deinen leblosen Körper mitten im Fluss an einem Stück Treibholz hängen sehen, wie ein ertrinkendes Kätzchen. Du hattest so viel Blut verloren, dass nur noch eine Tasse voll übrig war, schätze ich, und warst fast erfroren.«
» Spassibo , Konstantin. Ich schulde dir …«
»Still, ruh dich aus. Ich koche uns jetzt Fisch, und dann kriegst du endlich was zu essen. Du hast wochenlang nichts gegessen.«
»Wochenlang.«
»Da.« Er stand auf.
»Wochen?«
»Da . Ab und zu hab ich dir ein bisschen Wasser eingeflößt, und ein bisschen Suppe, aber das war alles.«
»Wochen?« Das Wort war bei Alexej hängen geblieben.
»Ja, ist jetzt fast drei Wochen her. Du bekamst schlimmes Fieber. Dachte, jetzt verlier ich dich doch noch.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Aber du musst aus ebenso starker Eiche geschnitzt sein wie meine Rote Maid hier.« Er lachte.
Das Geräusch dieses Lachens war wie ein Beben in Alexejs Kopf, und er schloss die Augen, weil er das Gefühl hatte, gleich würde sein Schädel platzen.
Bratfischgeruch durchdrang die staubige Kajüte und überlagerte sogar den Gestank nach Kerosin. Sie aßen langsam und in geselligem Schweigen, wobei es Alexej seine ganze Konzentration kostete, die Gabel zum Mund zu führen. Als sie mit dem Essen fertig waren und sich wieder mit einer Tasse Kaffee in der Hand gegenübersaßen, lehnte sich Alexej zurück und unterzog seinen Gastgeber einer langen Prüfung.
»Warum hast du dich um mich gekümmert?«
»Was sollte ich denn machen? Dich zurück in den Fluss werfen wie einen vergifteten Fisch?«
Alexej lächelte. Die Muskeln an seiner Wange fühlten sich ganz steif an, als wären sie aus Pappkarton. »Manche hätten das. Unter Stalins Spitzelregime haben die Leute Angst vor Fremden.«
Konstantin erwiderte das Lächeln. »Ich war froh um die Gesellschaft.«
»Wo sind wir jetzt?«
»Flussabwärts.«
»Südlich von Felanka, meinst du?«
»Da.«
»Wie lange sind wir schon unterwegs?«
»Seit ich dich aufgelesen habe.«
»Drei Wochen. Tschort .«
»Falsche Richtung für dich?«
»Ja. Ich muss nach Felanka zurück.«
Konstantin wandte den Blick ab, und es trat ein Moment der Peinlichkeit ein, der in Alexej das Gefühl weckte, undankbar zu sein. Um es sich nicht anmerken zu lassen, griff der Schiffer in eine Schublade unter der Tischplatte, holte ein kleines Messer und ein Stück Holz heraus und fing an, daran herumzuschnitzen, die blonden
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