Die Sehnsucht der Krähentochter
Entscheidung getroffen.«
Die Stimme flirrte auf
einmal um Bernina herum, vor Schreck zuckte sie zusammen. Als sie den Kopf
drehte, blickte sie in zwei Augen, die immer hellwach, immer ganz aufmerksam
waren.
»Ich habe gar nicht
gemerkt, dass du da bist, Baldus.«
»Ich wollte Sie nicht
erschrecken.«
»Schon gut.«
Ihr Blick wanderte von
dem Knecht zurück zu Anselmo, der inzwischen auf den Eingang des Wohngebäudes
zuging und mit einem langen Schritt darin verschwand. Ihr war nicht ganz klar,
ob ihr Mann immer noch nicht mitbekommen hatte, dass sie in der Nähe war.
»Was hast du gemeint,
Baldus? Welche Entscheidung hat er getroffen?«
Baldus trat neben sie.
»Welche das war, weiß ich auch nicht. Es schien mir einfach so auszusehen, als
hätte er irgendetwas beschlossen.«
Bernina sah ihn an,
diesen Gnom, der trotz seiner verwachsenen Glieder und des leichten Buckels
immer eine wertvolle Hilfe darstellte und jede schwere Arbeit zu verrichten
vermochte.
»Nun ja«, fügte Baldus
an. »Vielleicht ist er dann wieder so wie sonst.« Mit der Hand spielte er an
einem Lederbeutel, den er stets bei sich trug. Der Beutel war an einem Seil
befestigt, das er sich als Gürtel um die Leibesmitte gebunden hatte.
»So wie sonst?«,
wiederholte Bernina fragend.
Der Knecht nickte und
wich ihrem Blick aus. »Ja, in letzter Zeit war er immer so …« Ein unsicheres
Grinsen. »Irgendwie nachdenklich.«
»Aber woran das liegen
könnte, das weißt du nicht?«
»Ich? Wieso ich?«
»Spielt ja auch keine
Rolle«, sagte Bernina rasch, um die Unterhaltung zu beenden. Jetzt war es ihr
peinlich, ihm überhaupt diese Fragen gestellt zu haben. Das gehörte sich
einfach nicht – Baldus war schließlich nur ein Knecht des Hofes.
Noch einmal sah er kurz
zu ihr auf, als wollte er etwas anmerken, dann aber presste er die Lippen
zusammen und eilte einfach davon. Sie sah ihm hinterher, wie er sich auf seinen
krumm gewachsenen Beinen fortbewegte, als wäre jeder Schritt reiner Zufall. Es
war schon erstaunlich, dass Baldus trotz seiner angeborenen Beeinträchtigungen
derart flink war und schleichen konnte wie eine Katze.
Nach einer Weile ging
auch Bernina ins Haus, wo sie auf einen Anselmo traf, der sich noch einsilbiger
gab als in den vorangegangenen Tagen. Ihr Blick blieb unschlüssig an seinem
Rücken hängen. Was ist bloß los?, fragte sie sich im Stillen.
Die Hitze blieb, der
frühe Sommer hatte sich endgültig festgesetzt. Lau waren die Nächte, und an den
Tagen überfluteten Sonnenstrahlen das Land. Der Flachs begann auf den Feldern
zu vertrocknen, in den Bächen versickerte das Wasser. In Teichdorf hatte sich
das anfängliche Misstrauen gegen die Fremden mit den schwarzen Augen in Missmut
verwandelt. Allein die Furcht vor französischen Truppen und Arnim von der
Taubers Einheiten, die sich in Richtung Offenburg durch das Land schossen und
schlugen, hielt die Bürger davon ab, sich bei Egidius Blum zu beschweren. Der
Pfarrer tat sein Bestes, um den schwelenden Zorn der Teichdorfer mit
beruhigenden Worten und Durchhalteparolen so gering wie möglich zu halten. Was
nicht einfach war, da die Kontributionen, die die Soldaten für ihre
Unterstützung einforderten, immer umfangreicher wurden. Schutzzahlungen dieser
Art waren landauf, landab durchaus üblich, aber jene Männer schienen ganz
besonders gewillt zu sein, aus der Bevölkerung so viel herauszupressen, wie nur
möglich war. Zähneknirschend wurden vor dem Gasthaus körbeweise Waren
abgeliefert. Das Beste daraus erhielten der geheimnisvolle Mann im Giebelzimmer
und die Offiziere – die zartesten Stücke des Schlachtfleischs, nur ganz
frisches, noch warmes Brot, manchmal zuckersüß eingelegte Früchte. Und täglich
wurde nach Wein und Bier verlangt, in geradezu unglaublichen Mengen. Zusätzlich
mussten die vielen Pferde mit Heu, Hafer und neuen Hufeisen versorgt werden.
Wie sich allmählich
herumsprach, ging es ihnen bei Weitem nicht nur um ihren Appetit und ihren
Durst. Der Besitz jener armen Leute, die auf dem Weidenberg den Tod gefunden
hatten, war offenbar schon auf die Fremden übergegangen. Pfarrer Blum wurde oft
mehrmals am Tag zu dem Mann mit der Geige gerufen, um immer neue Forderungen
entgegenzunehmen. Der Geigenspieler verließ fast nie den Raum. Wie man hörte,
gab es einen Diener oder Leibwächter, der sich mit großer Fürsorge allein um
ihn kümmerte. Und in der Abenddämmerung erklangen diese weinenden Melodien. Ton
für Ton schwebten sie aus dem großen
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