Die Sehnsucht der Krähentochter
ihrer
Geschicklichkeit.
Auch andere Erinnerungen
umschmeichelten sie: die lange zurückliegenden Darbietungen mit den übrigen
Gauklern, die vom Krieg in alle Himmelsrichtungen vertrieben worden waren.
Überfüllte Dorfplätze im Sonnenschein, klatschende Zuschauer, leuchtende Augen,
vor Faszination wie gelähmt dastehende Kinder, die nie zuvor Akrobaten und
Feuerschlucker und Tänzer gesehen hatten. So schön, diese Erinnerungen.
Überhaupt war das ein
Tag für Bernina, um zurückzudenken, die Vergangenheit aufleben zu lassen. Denn
dieses ganze Haus mit seinen freundlichen, rechtschaffenen Menschen machte ihr
erst so richtig bewusst, was sie verloren hatte. Sie hörte den vielen alltäglichen
Unterhaltungen zu, geführt in dem vertrauten Zungenschlag, den sie in Spanien,
wie ihr jetzt erst klar wurde, vermisst hatte. Eine leise Wehmut breitete sich
in ihr aus, und in Gedanken sah sie den Petersthal-Hof vor sich, an Festtagen,
die dort gefeiert worden waren, doch auch an gewöhnlichen Arbeitstagen. Der
Krieg wütete schon so lange, dass sich das Böse nicht nur in Teichdorf
eingenistet hatte, wie Zipfner es ausdrückte, sondern überall in der Welt. Aber
es gab eben auch immer wieder kleine Flecken der Friedfertigkeit wie dieser Hof
hier. Berninas Petersthal-Hof war auch so ein Flecken gewesen. Auf einmal
sehnte sie sich ganz stark nach der Behaglichkeit, nach diesem Gefühl, an einem
Ort zu Hause zu sein. All die Jahre in der Abgeschiedenheit ihrer eigenen
kleinen Welt des heimischen Tals – es waren gute Jahre gewesen.
Nach ihrer Vorführung
mit Anselmo hörte sie gedankenverloren der Musik zweier Lautenspieler eines
benachbarten Hofes zu. Paare begannen zu tanzen, zunächst noch zurückhaltend,
sich der strengen Blicke des Gundelfinger Pfarrers bewusst. Die Kirche sah es
nicht gern, wenn Männer Frauen in aller Öffentlichkeit anfassten und durch die
Luft wirbelten, bezeichnete Tanz gar als Unzucht. Doch ihr Vertreter auf dem
Zipfner-Hof war mit viel Bier und den saftigsten Stücken des Bratens milde
gestimmt worden, sodass das bunte Treiben weitergehen konnte. Der Pfarrer war
der Nachfolger jenes Geistlichen, der Bernina und Anselmo damals in der
Gundelfinger Kirche vermählt hatte – wie unendlich lange jener schöne Tag
zurückzuliegen schien, als hätte sich ihre Trauung in einem anderen Leben
ereignet.
Etwas später am
Nachmittag hieß es auf einmal, der Narr sei doch noch erschienen, erschöpft von
dem mühsamen Weg, den er auf einem geliehenen Esel bewältigt hatte – aber
nichtsdestotrotz gewillt, das Festpublikum mit seiner Kunst zu unterhalten.
Alle Augen waren auf die
offen stehende Tür gerichtet, der erste Moment der Stille, sogar die Musikanten
hielten inne. Aus dem Flur drangen Geräusche hinein, abgehackt klingende
Schläge. Als sich der Türrahmen füllte, war klar, dass die Laute von den
Stelzen kamen, auf denen der Narr seine Bühne erobern wollte. Außerdem war ein
Klingeln zu hören.
Die Stelzen waren kurz,
und er war so klein, dass er mit seiner Kopfbedeckung die Decke nur ganz leicht
streifte. Dabei handelte es sich um eine Mütze mit mehreren Zipfeln, an deren
Enden Glöckchen befestigt waren, die für das Geklingel sorgten. Wie an den
Schuhen der Bediensteten in der spanischen Festung, dachte Bernina kurz. Im
nächsten Augenblick erkannte sie den Narr – und eine völlige Verblüffung
erfasste sie wie eine Woge.
Das Kostüm des Narren
bestand aus unzähligen, schrillbunten Flicken, als wäre es gelungen, damit alle
Farbtöne der Welt zu vereinen. Er stelzte in die frei gewordene Mitte des
großen Raumes, hüpfte dann auf die Füße und begann zu singen. So falsch, dass
Bauer Zipfner ihn zum Aufhören brachte – mit belustigter Höflichkeit, aber ohne
Zweifel an seinem Wunsch zu lassen. Der Narr versuchte mit Grimassenschneiden
und einigen Purzelbäumen Spaß zu bereiten, doch auch das gelang ihm nicht
gerade mit sonderlichem Erfolg. Was zur Verwunderung der Leute beitrug, war vor
allem sein kurzer, verwachsener Körper, auf dem ein zu groß wirkender Kopf saß.
Schließlich war es an
Bernina und Anselmo, sich mit einem entschlossenen Blick zu verständigen.
Natürlich hatte auch Anselmo den Narren erkannt. Sie sprangen auf und
unterstützten den Buntgekleideten, indem sie ihn in ihre Mitte nahmen, als wäre
er ein Teil ihres Programms. Noch einmal führten sie, auf kurios linkische
Weise begleitet von dem hüpfenden kleinen Kerl, die Dinge vor, die dem Publikum
schon zuvor so
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