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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Aber ob das
auch wirklich immer der Wahrheit entspricht …«
    »Was hörtest du?«
    »Die Spanier haben Höfe
in Besitz genommen. Und andere, deren Besitzer nicht zu Abgaben bereit waren,
einfach dem Erdboden gleichgemacht. Wieder andere Güter und Orte wurden von
Söldnern besucht. Söldner, die zu Korth oder d’Orville gehörten. Das gleiche
traurige Ergebnis: Vergewaltigungen, Diebstahl und auch Folter, um mögliche
versteckte Habseligkeiten aufzuspüren.«
    »Und unser Hof?«
    »Ich weiß es nicht. Aber
ich hörte, er wäre auch ein Opfer der Flammen geworden.«
    »Zerstört? Unser Hof?«
    »Das ist möglich. Doch
ich weiß es nicht mit letzter Sicherheit. Alles, was ich wirklich sagen kann,
ist Folgendes: Teichdorf besteht endgültig nur noch aus nackter Angst.«
    »Die Spanier sind also
nach wie vor die Herren des Ortes«, sagte Bernina nachdenklich, mehr zu sich
als zu den anderen.
    Der Gnom bestätigte es
mit einem erneuten heftigen Nicken.
    In Gedanken sah sie den
Petersthal-Hof vor sich. So, wie sie ihn kannte. Was mochte inzwischen
geschehen sein? Bestand ihr Zuhause bloß noch aus Trümmern? Sie verdrängte die
Sorge und sah erneut zu Baldus. »Aber eigentlich ist es etwas ganz anderes, was
mir am Herzen liegt.«
    Aufmerksam erwiderte er
ihren Blick.
    »Baldus, du weißt, was
ich fragen will, oder? Schon die ganze Zeit über.«
    Er lächelte schmal. »Ich
kann es mir denken.«
    »Warum hast du damals so
viel für mich riskiert? Wenn jemand entdeckt hätte, dass du mir geholfen hast,
dann – das hätte dein Todesurteil bedeutet.«
    Sein Lächeln blieb,
hatte beinahe etwas Verschämtes. »Sie kennen die Antwort bereits, Frau Bernina.
Ich erwähnte es zuvor: Sie gaben mir eine Chance. Als einziger Mensch, den ich
je traf, sahen Sie mich nicht als eine verrückte Laune der Natur an.« Nun wich
er ihrem Blick aus. »Für Sie war ich immer ein Mensch, ein vollwertiger Mensch.
Dieses Gefühl haben Sie mir jedenfalls gegeben, und zwar von Anfang an. Danke
dafür.«
    »Ich habe dir viel mehr
zu verdanken. Ohne dich …« Berninas gedämpfte Stimme musste ein wenig gegen den
Feierlärm um sie herum ankämpfen. »Ohne dich hätte ich mein Ende auf dem
Scheiterhaufen gefunden.«
    Wieder dieses Lächeln. »Ohne
mich … und ohne irgendjemand anderen.«
    Bernina setzte sich
kerzengerade auf. »Ohne irgendjemand anderen?« wiederholte sie. »Erzähl mir,
was sich damals zugetragen hat, Baldus. Wie bist du an den Schlüssel gekommen,
mit dem ich mich von der Kette befreien konnte?«
    Bedächtig nickte der
Gnom. »In der Tat, das war eine sonderbare Geschichte.« Er schüttelte den Kopf.
»Ich kann mir bis heute keinen Reim darauf machen. Immer, wenn ich daran
zurückdenke, kommt es mir vor, als hätte ich es mir nur eingebildet. Nie habe
ich jemandem davon berichtet. Ich fürchte, es wird wie ein Märchen klingen.«
    »Und ich fürchte, ich
platze fast vor Neugier«, warf Bernina drängend ein. »Wenn du wüsstest, wie oft
ich darüber gegrübelt habe. Der Schlüssel für meine Kette, Baldus, was hat es
mit ihm auf sich?«
    »Also, ich beobachtete
den Turm, in den man Sie eingesperrt hatte, schlich mich herum, überlegte, ob
es nicht eine Möglichkeit gäbe, etwas für Sie zu tun. Ich versuchte immer
wieder, Sie auf mich aufmerksam zu machen, traute mich allerdings auch nicht zu
weit vor. Immerhin – das Gasthaus liegt sehr nahe, und da waren ja ständig
diese Männer mit den roten Umhängen.« Baldus zog eine Grimasse. »So achtete ich
darauf, im Verborgenen zu bleiben, bis vielleicht der Zufall mir eine Möglichkeit
schenken würde, Ihnen irgendwie in Ihrer misslichen Lage zu helfen.« Er lachte
trocken auf. »Doch so ganz gelang es mir nicht, meine Anwesenheit geheim zu
halten.«
    »Was passierte mit
dir?«, fragte Anselmo, der ebenso gebannt zuhörte wie Bernina.
    »Es war in dem
Pferdestall des Gasthauses. Hände ergriffen mich, schleuderten mich in einen
Strohhaufen, und ich wurde mit einem Gegenstand bewusstlos geschlagen.« Mit den
Fingern fuhr Baldus sich über den Hinterkopf. »Als ich erwachte, lag ich in
einem kleinen Raum, der nichts enthielt außer nackten Wänden, einem winzigen
Gitterfenster und einem Steinfußboden. Meine Hände waren auf den Rücken
gefesselt, auch meine Füße hatte man zusammengeschnürt. Ich konnte nicht einmal
aufstehen. Ach du lieber Gott, dachte ich nur. Jetzt sitzt du genauso in der
Klemme wie Frau Bernina.«
    »Wer hat dich im Stall
überwältigt?«
    »Das weiß ich nicht.«

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