Die Sehnsucht der Krähentochter
Tür auf
und begrüßten Johann Zipfner, der für sie ein Frühstück dabei hatte. Ihm bleibe
nicht viel Zeit, erklärte der Bauer, da er noch den Pfarrer holen müsse. »Wilfried
spannt schon das Pferd vor den Wagen.«
»Ist er wohlauf?«,
forschte Bernina fürsorglich.
Zipfner nickte. »Er
wirkte recht munter, muss ich sagen. Und er war davon überzeugt, dass die
Ausschläge zurückgegangen wären. Ich kann bloß hoffen, er bildet sich das nicht
ein.«
»Ich habe ihm schon
erklärt, dass die Anwendung mehrmals wiederholt werden muss.«
»Keine Bange, meine Frau
und ich, wir werden uns gemeinsam darum kümmern.«
»Dann ist er in besten
Händen«, erwiderte Bernina mit einem Lächeln. Doch ihr war nicht entgangen,
dass der Mann ernster wirkte als am Vortag. »Ist alles in Ordnung, Herr
Zipfner? Oder plagen Sie irgendwelche Sorgen?«
Etwas befangen hob er
seine breiten Schultern. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Schließlich
geht mich das ja auch nichts an, es ist allein Ihre Sache, Sie beide müssen
wissen, was Sie …« Er verstummte.
»Sprechen Sie ruhig
offen zu uns, Herr Zipfner.«
»Wilfried erwähnte
irgendetwas davon, dass Teichdorf Ihr Ziel sein soll. Stimmt das?«
Bernina und Anselmo
sahen sich kurz an. Dann nickten sie.
»Was haben Sie beide
dort zu tun, wenn ich fragen darf?«
Bernina blickte ihn an.
»Wir kennen Leute, die da leben …«
»Ein Besuch?«
»Nun ja, gewissermaßen.«
»Ich wollte wirklich
nicht neugierig sein«, entschuldigte sich der Bauer. »Es ist nur so, dass in
Teichdorf …«
»Ja?«
»Gehen Sie nicht
dorthin. Gerade so rechtschaffene Leute wie Sie beide. In Teichdorf hat sich
der Satan eingenistet. Das Böse regiert in diesem Ort.« Ein beschwörender Klang
mischte sich in seine Worte. »Macht einen weiten Bogen um Teichdorf. Je weiter,
desto besser.«
»Danke für die Warnung«,
war alles, was Bernina darauf antwortete.
»So, nun bin ich aber
endgültig in großer Eile«, sagte Zipfner mit veränderter, wieder leichterer
Stimme. »Ich muss los! Und ihr beiden, ihr denkt heute nicht mehr an Teichdorf.
Genießt einfach nur den großen Festtag mit uns.«
»Das werden wir, Herr
Zipfner.«
Am Nachmittag, lange
nach der Trauungszeremonie und dem Übergeben vieler kleiner Geschenke,
verteilte sich die Familie mit ihren Gästen in dem größten Raum, den der
Zipfner-Hof zu bieten hatte – die Wohnküche mit dem gemauerten Kamin, die fast
das gesamte Erdgeschoss des Wohnhauses einnahm. Das Feierliche des Ja-Wortes
war einer ausgelasseneren Stimmung gewichen, man hatte gegessen, Brühen,
Bratenfleisch, Gemüse, eingemachte Sommerfrüchte, und man hatte einem dunklen,
würzigen Bier zugesprochen, das Wangen ebenso rot färbte wie die aus dem Kamin
züngelnden Flammen. Die Leute kosteten die Ausnahme ihres ansonsten kargen,
arbeitsreichen, mit Furcht vor marodierenden Kriegssöldnern ausgefüllten
Alltags aus. Ihre Herzlichkeit sorgte dafür, dass sich auch die beiden
unerwarteten durchreisenden Gäste, die der Sturm hierher geweht hatte, überaus
wohlfühlten inmitten der großen, heiteren Runde.
Bernina und Anselmo
taten ihrerseits alles, um den besonderen Tag für die Menschen auf dem
Zipfner-Hof noch angenehmer zu gestalten. Zumal der Narr bisher nicht
aufgetaucht war, wie Bauer Zipfner es schon befürchtet hatte. Die Braut mit
einem Kranz aus getrockneten Kräutern und der mit einem schmucklosen schwarzen
Wams bekleidete Bräutigam, Johann Zipfner junior, der dem Vater wie aus dem
Gesicht geschnitten war, saßen am Kopf der Tafel und freuten sich am meisten
von allen über Berninas Flötenspiel. Das kleine, geschickt geschnitzte
Instrument hatte sich in einer Truhe auftreiben lassen, und Bernina war
überrascht, wie leicht fast schon vergessene Melodien wie aus dem Nichts zurück
zu ihr kamen. Den lautesten Applaus erntete allerdings Anselmo, der mit Stöcken
jonglierte, auf den Händen lief, allerlei akrobatische Kunststücke vollführte.
Sie spannten sogar ein Seil, in etwa drei Schritt Höhe, zwischen Küchen- und
Außentür. Es fehlte ihnen an Übung, aber wie die Musik hatte auch das
Balancegefühl irgendwo in ihnen geschlummert. Ganz leicht konnte es geweckt
werden, sie glitten über das Seil, erst hintereinander, dann in
entgegengesetzter Richtung, um sich in der Mitte zu treffen. Es war wie ein
Schweben, und nur ganz kurz sah Bernina nicht Anselmo vor sich, sondern
Feldwebel Meissner, den Degen erhoben, Anerkennung im Blick angesichts
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